[1079] Leb wohl denn, Mädchenstolz, auf immerdar; mich lüstet nimmermehr nach solchen Preisen [Allegra, Giada]

[März '23]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Allegra Aldighieri
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Re: [1079] Leb wohl denn, Mädchenstolz, auf immerdar; mich lüstet nimmermehr nach solchen Preisen [Allegra, Giada]

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Allegra beendete ihre Befreiungsaktion und vergewisserte sich noch einmal, keine Strähne zurückgelassen zu haben. Ihre Haltung war demütig, mit im Schoß gefalteten Händen, aber in ihren Augen blitzte für Giada sichtbar die Verruchtheit auf.

"Nicht jeder teilt diese Ansicht. Viele finden sich hingezogen gerade von der Idee einer schüchternen reinen Jungfer, arglos in Liebesdingen und hülflos gegen Zudringlichkeiten. Gerade auf der Jagd ist es hilfreich, so unterschätzt zu werden dass das Gegenüber sich nah genug heran traut um einem aus der Hand zu fressen - oder von den Lippen."

Als Giada ihre Garderobe studiert, stemmt sie ihre Fäuste in die Hüften und drückt stolz die schmale Brust raus. "Natürlich schert mich der Eindruck, den ich mache! Nur die besten Stoffe, in den teuersten Farben! Sonst denken die Leute ja noch, ich wäre eine schlechte Händlerin die sich keine kostspielige Garderobe leisten kann.

Und ja, natürlich versuche ich meinen Schnitt zu machen und Reichtümer zu erwerben. Aber das wäre mir kaum möglich, wenn ich nicht einen Ouroboros von den Schlangen des Laocoön unterscheiden könnte, und ein schlechtes Imitat von einem Original. Hingabe ist in diesem Geschäft vonnöten, wenn man nicht einfach nur Schlachtfelder von verstreuten Münzen und schartigen Rüstungsteilen befreien will."
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1079] Leb wohl denn, Mädchenstolz, auf immerdar; mich lüstet nimmermehr nach solchen Preisen [Allegra, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Int + akademisches Wissen: 1 Erfolg


Oh, Giada entging die Verruchtheit nicht. Im Gegenteil. Doch das war einfach, was ihr wie ein offenes Angebot erschien. Nein, was sie lockte, war diese tatsächlich offene Unschuld, diese Hilflosigkeit, genau so wie die Allegra es aussprach. Und eben weil Allegra all dies so offen zugab, bekamen Unschuld und Hilflosigkeit Zähne - selbst dann, als sie beides so offen zur Schau stellte mit der grellen Gewandung und dem vollkommenen Mangel an Einsicht über die Etikette und die Politik in der Nacht. Genau so stellte sie in Giadas Augen eine weitere Form der Hilflosigkeit dar und es war so unendlich süß und kostbar und schön.
Vielleicht wollte Giada sich die Lippen lecken. Vielleicht wollte sie Allegra aus ihrer schlanken Mädchenhand fressen - oder von den blassen Lippen. Vielleicht wollte sie sie an der Kehle packen und sich unterwerfen und festhalten.

Und dann setzte Allegra noch eine weitere Sache hinzu als wüsste sie, was die Magistra unweigerlich locken musste: Sie gab in achtloser Beiläufigkeit - war es vielleicht nur gespielt? ein offen ausgelegter Honigtopf? - ein wenig vom alten Wissen und den alten Mythen preis. Giada kannte die alten Geschichten der Griechen nur vage, doch der alte Name Λαοκόων war ihr bekannt und auf das Zeichen von Ouroboros stießen alle, die wie sie der Kunst des Lernens, μαθηματικὴ τέχνη, Zeit und Mühen opferten, um die Geheimnisse der Welt aufzuschließen.

Und so verschlug es ihr für einen Moment der Gier die Sprache. Noch nie zuvor in ihrer Existenz hatte sie einen so köstlichen Anblick vor sich gehabt. Mit aller Macht musste sie sich das Gesetz des Elysiums vor Augen führen.

“...Hingabe in der Tat”, brachte sie dann zustande. Es klang ein wenig rauh. Ihr fiel nicht viel mehr ein, was so irritierend wie frustrierend war. Als hätte ein Sturmwind ihre Gedanken einfach allesamt davongefegt. “Erzählt mir mehr davon!”
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Allegra Aldighieri
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Re: [1079] Leb wohl denn, Mädchenstolz, auf immerdar; mich lüstet nimmermehr nach solchen Preisen [Allegra, Giada]

Beitrag von Allegra Aldighieri »

"Von der Hingabe zu alten Dingen wollt ihr also wissen, werte Giada... Die meisten suchen nur Ramsch, von Schlachtfeldern zusammengeklaubt auf denen die meisten Leiber noch nicht einmal erkaltet sind, gewöhnliche Dinge wie Waffen, Pfeilspitzen und Münzen die sich schnell umschlagen und versilbern lassen. Ich interessiere mich mehr für ältere Einzelstücke, tief in der Unterwelt verborgen und im Schatzhort des Hades verloren geglaubt..."

Allegras Schritte führen langsam zur Agora - die offene Säulenhalle schien ein würdiger Rahmen, um über Dinge der klassischen Zeit zu reden.

"Ich hatte das Glück, in Kalabrien aufzuwachsen und in die Nacht geführt zu werden. Ein Landstrich der bettelarm in vielen Dingen, besonders in vielen materiellen Dingen, ärmer als Genoa oder Milano... Aber reich an verloren geglaubten Schätzen der Hellenen, zum Nutzen derer die etwas davon verstehen."

Sie wendet ihren dürren, unterernährten Leib der Magisterin zu, und streicht sich nicht ohne Stolz über ihre überladen protzigen Kleider.

"Für was interessiert Ihr euch besonders? Kunsthandwerk ist immer recht beliebt, von schlichten aber dennoch eleganten korinthischen Säulensegmenten über kunstfertig das Antlitz festhaltende Büsten bis hin zu filigranen Statuetten.
Auch die Kalamistroi, denen ich meine Lockenpracht verdanke, fallen darunter."


Die Kappadozianerin nimmt einen Lockenstrang zwischen Daumen und Zeigefinger und spielt damit herum, mit dieser Mischung aus zerbrechlicher Unschuld und verruchter Kokettheit, die ihr so zueigen ist.

"Dann ist da noch die Literatur, auch wenn davon leider nur wenig überhaupt und noch weniger in gutem Zustand erhalten ist. Die Philosophie des Sokrates, die Erd- und Geschichtskunde des Herodot, die Vier-Säfte-Lehre des Galenos, die Lyrik der Sappho, die Theat..." Sie stockte einen Moment. Allegra wollte Giada eigentlich nicht an die thespischen Künste erinnern, hatte sie doch immer noch Hoffnung nicht mit Adamo in Verbindung gebracht zu werden, aber wenn sie jetzt abbrach wirktes es noch verdächtiger. "Die Bühnenstücke des Euripides, meine ich. Leider ist das meiste davon einfach nur griechisch für Leser der heutigen Zeit, auch für viele Kainiten die keine so gute Bildung genossen haben wie ich."
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1079] Leb wohl denn, Mädchenstolz, auf immerdar; mich lüstet nimmermehr nach solchen Preisen [Allegra, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

‘Von der Hingabe zu alten Dingen wollt ihr also wissen, werte Giada…’, sagte dieses Mädchen und sie hätte der Magistra ebenso gut den Fehdehandschuh vor die Füße schmettern und sie zum Zweikampf fordern können.

Und sie lächelte so wie ein Haifisch lächelt, so wie ihr Großvater lächelt, und ließ langsam und genußvoll die Glut ihres Ehrgeizes, der Rivalität und der Sucht der inneren Bestie nach Herrschaft und nach Macht heißer kochen. Es war nicht so, dass Giada einer Raserei auch nur nahe war. Vielmehr war es so, dass sie diesen Moment nun auszukosten begann, wie Allegra ihn ausbreiten, als sie vor ihr die eigenen Kleider zurechtstrich. Als sie vor ihr ging und dies oder jenes zum Besten gab. Als sie so hübsch und freundlich fragte und glänzte und glitzerte und der Magistra vorkam wie ein kleiner Vogel, der sein schillerndes Gefieder putzt und sich aufplustert.

Und oh, schillernd und schön war dieses Gefieder gewiss! Die Aussicht auf solche Juwelen der Gelehrtheit, auf die bloße Vielfalt davon war so verlockend und wunderbar. Giada wollte erschauern, ihr Hunger wollte rasen, sie hätte Allegra in diesem Augenblick einfach mit Haut und Haar verschlingen können, wäre dies nicht ein Elysium.

Doch dann war der Moment vorüber, das Gefieder war geputzt, die Kappadozianerin verstummt. Jeder Genuss war flüchtig und jetzt kam die Pflicht, eisenhart, bleischwer, unabwendbar und eindeutig.
Giada jedoch wäre nicht Giada, hätte sie ganz den Genuss des Kräftemessens vergessen. Und so gab sie der Kappadozianerin eine Chance so wie eine Katze der Maus eine Chance gibt, damit das Spiel noch ein wenig länger andauert.

“Werte Allegra”, sagte Giada also und es klang in der Tat ein wenig katzenfreundlich. “...Ihr habt Euch gewiss versprochen, als Ihr versucht habt, mich zu adressieren.” Sie wollte wohl eine Handgeste dazu machen, doch als sie die Hand hob, stieß sie - vielleicht nicht tatsächlich unabsichtlich - gegen den schweren Rosenkranz, der an ihrer Seite hing. Seine metallenen, hölzernen und beinernen Perlen klirrten aneinander wie die Glieder einer Kette. Langsam schloss Giada ihre Faust darum um dieses Klirren zu einem Schweigen zu ersticken.
“Denn wer sich mit so prachtvollen Perlen der Gelehrtheit schmücken kann wie Ihr, der wird ausgerechnet die Kunst der Etikette nicht derart achtlos vernachlässigt haben.”
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Allegra Aldighieri
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Re: [1079] Leb wohl denn, Mädchenstolz, auf immerdar; mich lüstet nimmermehr nach solchen Preisen [Allegra, Giada]

Beitrag von Allegra Aldighieri »

Die Kappadozianerin blickt ein wenig irritiert bei der fahrigen Reaktion von Giada und überlegt kurz.

"Mich versprochen? ... Ah, ich vergaß, ihr wandelt auf dem Anodos Koriphaios. In der römischen Zunge Bia Regal-Iss, wenn ich mich nicht vertue. Nicht mein eigener Weg, aber wenn ich mich recht entsinne, war einer seiner Leitsprüche laut Agathokles*: Kai tod' aischron, aspidas thursoisi bakchôn ektrepein chalkêlatous."**

Allegra nickt tief und wartet einen Moment, während sie die Worte sacken lässt.

"Ich gehe wohl recht in der Annahme, dass ihr euch als Kind einer Ancilla als höherstehend empfindet und damit darauf besteht, als 'wohlwerte Giada' angeredet zu werden?
In dem Fall sei es euch gewährt... wohlwerte Giada."


Die Kappadozianerin nickt noch einmal tief.
Spoiler!
*Akademisches Wissen: Agathokles, Tyrann von Sizilien ca. 300BC. Vielfach geschmäht als verbrecherischer Diktator, aber teilweise bewundert als machtvoller Realpolitiker. In keinem Fall hinterließ er viele weise Worte für die Nachwelt.

**Alt-Griechisch: "Schmählich, wenn der Schild aus Erz dem Thyrsosstab der Bakchen weichen muß!" Zitat aus Euripides' Bakchae

Zitat und angegebene Quelle passen nicht zusammen. Entweder ist Allegra sehr unwissend, oder sie stellt Giada altes Wissen auf die Probe.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1079] Leb wohl denn, Mädchenstolz, auf immerdar; mich lüstet nimmermehr nach solchen Preisen [Allegra, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Gewährt! Dieses eitle, kleine Singvögelchen, wollte IHR etwas gewähren! Etwas, das ihr gehörte, das sie sich teuer errungen hatte, das sie noch teurer bezahlt hatte!
Und doch wurde es ihr hier gewährt, nicht nur ohne ein Zögern sondern gewürzt mit solchen Köstlichkeiten der Gelehrtheit, dass Giada Schwierigkeiten hatte, den rechtschaffenen Zorn tatsächlich heiß zu halten.


Sie verengte die Augen. Sicherlich sah sie für einen Augenblick so aus als wollte sie Allegra anfahren, oder schlimmeres. Und dann warf sie plötzlich den Kopf in den Nacken und lachte. Die Eisenglieder des Rosenkranzes klirrten und so befreit wie in diesem Augenblick wirkte die Magistra wohl selten.

“Gutdenn”, rang sie sich schließlich aus dem Lachen heraus ab. “Ihr habt recht. Recht darin, auf was für einer Art von Pfad ich durch die Nacht gehe. Recht darin, das Ihr gewährt, denn am Ende tragen wir alle sie auf unseren Schultern, diese Gesellschaft in der Nacht. Ihr und ich, wir gewähren einander Achtung nicht zuletzt weil wir begreifen, dass wir ohne all dies niemals mehr wären als Bestien in Kleidern - und bald nicht einmal mehr das, denn wo uns unsere Form verlässt, da fällt auch alles andere schnell und wir werden Opfer unserer selbst.”

Sie machte eine Geste zu Allegra hin. “Ihr irrt jedoch darin, was der Grund für unseren Unterschied in Stand und Rang ist.” Mit den Worten vollendete sie die Geste, indem sie sich selbst darin einschloss.

“Ich kann Euren Irrtum auflösen. Doch im Tausch lasst mich wissen, weshalb und wie Ihr die …Anodos Koriphaios derart klar erkennt. Folgt Ihr ihr selbst? Aus Eurer Antwort könnte ich wohl lesen, worin Euer Irrtum wohl wurzelt und wie dies zu beheben sei.”
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Allegra Aldighieri
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Re: [1079] Leb wohl denn, Mädchenstolz, auf immerdar; mich lüstet nimmermehr nach solchen Preisen [Allegra, Giada]

Beitrag von Allegra Aldighieri »

Ein Lächeln huscht über Allegras Gesicht.

"Ich bin keine Wanderin auf dem Pfad der Höchsten. Nur sehr wenige Kappadozianer sind das.

Ein guter Herrscher erlangt seine Qualität durch die empeiria, die Erfahrung, ein zeitraubender und anstrengender Prozess. Ein guter Gelehrter erlangt seine Qualität hingegen durch techne, das Wissen, ebenfalls ein zeitraubender und anstrengender Prozess. Selbst unter uns Unsterblichen, die mit aller Zeit der Welt gesegnet sind, finden sich nur sehr sehr selten Philosophenkönige, die beide Qualitäten zugleich in hohem Maße in einer einzigen Person zu vereinen vermögen. In der Regel muss sich eine Person schon glücklich schätzen, es in einem dieser Felder weit zu bringen - und selbst unter uns Kainskindern, bereits handverlesen aus der großen Schar der Sterblichen, gibt es viele die es nicht einmal in einem von den beiden Gebieten weit bringen.

Als Gelehrte kenne ich natürlich die Weisheiten gnothi sauton und phtonei mideni: Kenne dich selbst, und beneide niemanden. Ich strebe nicht nach Herrschaft, Ämtern und Macht. Das ist etwas für Männer und Frauen der Tat, die aus praktischer Erfahrung lernen und diese anwenden.
Anstatt mich da erfolglos einzumischen, bleibe ich lieber in meiner Sphäre und meistere die papierne Welt des Wissens. Wenn es Achtung ist, die die Herrscher verlangen, so sollen sie diese haben - ganz neidlos."


Wieder dieser hingabevolle Blick, den die Kappadozianerin ausgesetzt hatte als Giada sie in ihrer Macht hatte. Aber nur für einen Moment, dann setzt sie in ihre Rede fort, nun im beschwörenden Tonfall.

"Es ist nicht schwierig, zu wissen dass Ihr auf dem Anodos Koriphaios wandert, wohlwerte Giada.

Ich könnte euch nun sagen, dass man es an euren Augen ablesen kann.
Oder dass ich in einer Neumondnacht in einem Kohlebecken Zypressenharz und schwarze Hahnenfedern verbrannt habe, um mir einen Geist aus der Unterwelt dienstbar zu machen, der mir euer Geheimnis ins Ohr flüsterte.

Das wären beides schaurig-schöne, schön schaurige Geschichten. Nicht wahr?"


Ihr Tonfall ändert ins trocken-nüchterne.

"Und sie wären beide Lug und Scharlatanerei, etwas das mir als Gelehrte ganz und gar abhold und zuwider wäre. Nein, die Wahrheit ist sehr viel prosaischer:
Erst jüngst auf dem Hoftag habt Ihr euer Bekenntnis zu ihm durch den halben Saal gerufen."
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1079] Leb wohl denn, Mädchenstolz, auf immerdar; mich lüstet nimmermehr nach solchen Preisen [Allegra, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

“Bah, das!” polterte Giadal und ein offensichtlich alter und wohlgepflegter Groll fand in ihre Stimme. “Adamo Manacres und seine Possenspiele. Es war nicht das erste Mal, dass er sich nicht zu benehmen wusste!” Einen Moment hielt sie dann jedoch inne, um diesen Groll zu zügeln.

“Ihr habt natürlich dennoch recht, geheim habe ich es gewiss nicht gehalten”, meinte sie dann im Gegensatz zu zuvor recht trocken. Sie machte dann eine einladende Geste in den Garten hinein, in die Richtung einer der steinernen Bänke.
“Ihr jedoch umtanzt die Frage nach Eurem Blick auf die Welt recht gut”, stellte sie dann fest, als sie langsam dorthin los ging.

“Indes, mein Wort soll gelten. Ich will Euch sagen, weshalb einige Ränge uns trennen.” Für einen Moment pausierte sie hier mit ihren Worten, suchte wohl einen guten Beginn für die Erläuterung.
“Dies ist die Domäne der höchst verehrten Aurore von Genua”, begann sie dann. “Und am Ende ist es ihr Blick, unter dem wir bemessen werden. Es gibt immer einige feste Größen, die in ein solches Maß einfließen können: Gehört Ihr einer der familiae nobilis an, der hohen Familien - oder Clans - in der Nacht oder gehört Ihr zu gewöhnlichen? Sind jene, die vor Euch gingen, Euer Erzeuger oder Eure Linie namhaft oder waren sie schändlich? Habt Ihr selbst Euch in den Augen des princeps bereits hervorgehoben? Seid Ihr ein anerkannter Gast der Weißen Prinzessin oder seid Ihr eben erst angelangt, ohne Leumund durch Wort oder Tat?”
Giada machte eine Geste wie um anzudeuten, dass noch weitere Dinge in diese Abstufungen hinein fließen würden und bestätigte dies dann auch: “Es können noch vielerlei weitere Dinge in dieses Maß des Ranges der Neugeborenen in der Domäne einfließen. Wer Euch die Rangfolge erläutern kann, das ist die wohlwerte Harpyie.” Und hier konnte Allegra auch heraushören, dass Giada dies “wohlwert” mit einer gewissen Betonung aussprach, vielleicht einfach, um der Kappadozianerin hier die Rangfolge zu verdeutlichen.

“Was mich über Eurem Rang einsetzt, könnte ich vielfach vermuten. Hoffen will ich, dass ich mich nun schon lange Jahre in Genua durch Taten bewies und so wenigstens die Gastfreundschaft der höchst verehrten Aurore in Dankbarkeit vergelten konnte. Doch ich will nicht so eitel sein, zu behaupten, es wären tatsächlich meine Taten oder auch nur ich selbst, die etwas mit meinem Rang zu tun hätten. In einer gewissen, pragmatischen Demut muss ich wahrscheinlich schlicht einsehen, dass Genua ein Teil der Lombardei ist. Der Graf von Mailand übersieht auch die Geschicke Genuas in der Tagwelt und der höchst verehrte Totila von Mailand beansprucht in Macht, Geschick und dem langen Schatten seines Rufes als Feldherr und König, den Titel des Fürsten der Lombardei.”

Giadas Stimme war einigermaßen neutral in dieser Erläuterung. “Natürlich ist die Lage in der Politik der Nacht verworrener. Die höchst verehrte Aurore hat, wohl unter Zwang doch dennoch weithin erkennbar, den Vasallenschwur Genuas gegenüber Mailand gebrochen und wurde der wohl nördlichste Teil der See der Schatten.”
Das war wahrscheinlich eine brutal knappe Zusammenfassung weit komplizierterer Zusammenhänge, doch Giada brach eine langatmige Erläuterung einfach ab, indem sie sagte: “Ihr erwähntet, dass Ihr Euch nicht in die Sphären von Herrschaft und Macht einmischen mögt. Ich persönlich glaube nicht, dass Ihr dies könnt. Eure bloße Anwesenheit ist bereits eine Einmischung, denn Ihr werdet Teil des Hofes von Genua und Ihr seid, wer und was Ihr seid. Doch ich werde Euch langatmige Ausführungen ersparen.”

“Jedoch werdet Ihr einsehen, dass Ihr in dem Augenblick, in welchem Ihr als jemand ohne Amt, Würden, greifbare Macht, Ansehen oder auch nur durchlebte Geschichte hier in Genua, behauptet, gleichrangig oder gar höhergestellt mit mir zu sein, eine Bühne der Politik betretet.”

“In dem Augenblick würdet Ihr nicht nur mich sondern auch das Wort der wohlwerten Harpyie, das Maß der höchst verehrten Aurore, die Macht des höchst verehrten Totila von Mailand, die gefährliche Schärfe der Politik genau hier und genau in dieser Zeit beiseite zu wischen versuchen. Ihr würdet all diese Dinge geringer einschätzen als Ihr Euren Wert und Rang einschätzt.”
Und nun lächelte Giada kurz und freudlos.

“Kurzum: Ihr würdet Euch auf genau jene Bühne von Herrschaft, Macht, Politik und Ämtern hineinbegeben, die Ihr Euren Worten nach doch eigentlich meiden wollt. Ihr würdet nicht nur mich und das Wort der wohlwerten Harpyie direkt herausfordern sondern auch alle diejenigen, die im Range über mir stehen würden und ebenso jene, an welchen Ihr im Range achtlos vorbeigezogen wäret.”

“Mein Rat an Euch als eine, die wohl die Gelehrtheit für sich höher werten will als die Herrschaft: Folgt eben den Geboten jener Gelehrtheit, bevor Ihr voreilige Schritte tut. Lernt und versteht zuerst bevor Ihr Eure Züge macht. Und dies sage ich als eine, die sich in Demut eben jener Gelehrtheit zu verschreiben sucht, nur um stets aufs Neue zu erkennen, wie groß das eigene Unwissen doch ist.”
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Allegra Aldighieri
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Re: [1079] Leb wohl denn, Mädchenstolz, auf immerdar; mich lüstet nimmermehr nach solchen Preisen [Allegra, Giada]

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Allegra atmet innerlich erleichtert auf, als sie selbst nicht von Giada mit Adamo in Verbindung gebracht wird. Ihre große Befürchtung zerstäubt sich, das würde alles andere viel leichter machen.
So folgt sie bereitwillig der Einladung, die Sitzbänke aufzusuchen.

"Es war nicht meine Absicht, euch meinen Pfad zu verschweigen, wohlwerte Giada, daher dürft Ihr gerne von ihm wissen. Mein eigener Pfad ist der vielleicht schlichteste von allen: Der Oudos Anthropothymos, der Pfad der Menschlichkeit. Aber gerade in seiner Schlichtheit herausfordernd, wenn man nicht nur blind in ihn hineinstolpert wie viele Küken, sondern ihn tatsächlich ernstlich verfolgt und nach Art der Weisen unter den Alten das gute Leben anstrebt, erfüllt von Arete, der Tugend.

Darin liegen auch einige Ähnlichkeiten zum Anodos Koriphaios, der ebenfalls nach persönlicher Exzellenz und Selbstverfeinerung strebt. Anders als der Anodos Ouranous, der mehr auf die äußere Hilfe Gottes als auf innere Stärke setzt. Und natürlich sehr viel anders als gewisse Irrwege, deren verwirrte Anhänger nicht nur den Einflüsterungen des Tiers erliegen, sondern diese sogar noch glorifizieren und als Tugend preisen."


Die Kappadozianerin rümpft die Nase bei der Erwähnung dieser Irrwege.

"Tatsächlich kam ich bisher mit ernstlichen Anhängern des Anodos Koriphaios wie Euch oft sogar besser aus als mit blind herumstolpernden Mitwanderern auf dem Weg der Menschlichkeit, die wahllos Phrasen, Binsenweisheiten und Waschweibersprüche aufsaugen wie ein Schwein am Futtertrog, und sich auf dieser kruden und gefühlsduseligen Basis irgendwie durch das Unleben wurschteln.
Ich kann es respektieren, wenn andere wie ich ihre Gedanken wohl ordnen und stets an Selbstverbesserung arbeiten, und ich kann es wertschätzen, wenn sie wie ich auf ein geordnetes und zivilisiertes Zusammenunleben hinwirken."


Sie nickt tief bei dieser Schilderung.

"Es ist leider wahr, dass ich - oder jeder andere meiner Art - die Kainitenpolitik niemals vollends vermeiden können werde.
Aber ich kann versuchen, wie das Wasser zu sein: Weich, nachgiebig und immer den leichtesten Weg gehend, selbst wenn es bedeutet in den Augen derer, die Wert darauf legen, schwach zu erscheinen.

Ihr seid mehr wie der rollende Fels, wohlwerte Giada. Hart, unnachgiebig und stark, aber auch den schweren Weg herabpolternd, selbst wenn er durch Dornicht und anderen Unbill führt.
Ihr könnt euren Weg erzwingen, wo ich an das Flussbett gebunden bin, aber diese Fähigkeit erkauft Ihr euch teuer."
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1079] Leb wohl denn, Mädchenstolz, auf immerdar; mich lüstet nimmermehr nach solchen Preisen [Allegra, Giada]

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“Ihr solltet wohl eine andere Wahl für Eure Worte finden, wenn Ihr mit solchen auf der Via Regalis sprecht”, bemerkte Giada dazu trocken. “Die wenigsten wüssten zu schätzen, mit einem rollenden Stein verglichen zu werden.”

Sie selbst schien davon jedoch nicht sonderlich gekränkt zu sein. “Die, welche auf diesem Pfad gehen so wie ich, können es jedoch wohl. Und ja, es ist teuer erkauft. Doch die Genugtuung ist ohne gleichen.” Und das klang jedenfalls nach der Gewissheit, mit der ein solcher Stein wohl einen Hang herabrollt.

Dann jedoch machte sie eine Geste zu Allegra herüber. “Ich habe noch nie… jemanden Eurer.. Oudos Anthropothymos dazu sprechen oder befragen können ohne sogleich abgewiesen oder verurteilt zu werden. Wenn sie überhaupt den Mut oder die Klarheit haben, sich so zu benennen.” Die griechischen Worte gingen der Mailänderin offensichtlich nicht leicht von der Zunge. Wahrscheinlich hatte sie keine Übung mit der alten Sprache.

“Mir erschien ein solcher Weg einer in die Irre. Wir sind offensichtlich keine Menschen mehr und unsere Begierden sind ganz gewiss unmenschlich. Sie jedoch können uns auch kaum ein Vorbild sein: Die Menschen sind flüchtig, unvollkommen, verführbar. Wäre es nicht besser, um der eigenen Verbesserung willen, sich Höherem zuzuwenden?”
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