[1080] Refutatio Omnium Haeresium [Allegra, Angelique]

[Allegra Aldighieri]

Allegra setzt ihre Studien der Schrift, des Lateinischen und der Theologie fort, die sie im Vorjahr unter Angeliques Anleitung begonnen hatte.
Unter den zunehmend schwierigeren Fragen bekommt die Panzerung der Kappadozianerin Risse.

Sie hatte bevor sie in die Nacht geführt wurde keine Bildung genossen, und danach auch nur so weit wie sie es für ihre Aufgabe des Grabraubs aus hellenischen Fundstätten brauchte. Sie wurde mit klassischen Ideen und Konzepten konfrontiert, während sie vom Christentum gerade nur das nötigste verstand um in der Gesellschaft zu funktionieren (und das zu Lebzeiten schon eher leidlich - sie war eine reulose und regelmäßige Diebin).
Entsprechend ist das Weltbild in ihrem Köpfchen sehr krude zusammengestoppelt: Auf der einen Seite die chthonische Unterwelt des Hades, auf der anderen Seite das ouranische Himmelreich des Iēsous Chrīstós.
Dazwischen: Die Welt der Lebenden und Unlebenden.

Allegra ist sich sicher, als halbstarkes sterbliches Mädchen einmal den leibhaftigen Iēsous in theoxenischer Verkleidung bestohlen zu haben, und dass er ihr darum den ihrer Auffassung nach zustehenden Reichtum vorenthalten hat. Sie hat daraus einen ausgewachsenen Misotheismus gegenüber dem Ouranischen entwickelt, und ein ausgeprägtes Verlangen mit materielle Reichtümer zu erwerben und möglichst protzig und trotzig zur Schau zu stellen. Darauf - und auf das Verprassen der gleichen Reichtümer für schnelllebige Freuden - ist ihr ganzes Trachten ausgelegt.

Ihre Herangehensweise an die Unsterblichkeit und die damit einher gehenden Fähigkeiten hat nach wie vor etwas von einem unreifen halbstarken Mädchen, das eine Tarnkappe und einen Passepartout geschenkt bekommen hat um überall ungesehen eindringen zu können - und diese Fähigkeit nun nutzt um Süßigkeitenläden auszurauben.

[Angelique]

"Es gibt noch kein Himmelreich", sagte Angelique irgendwann korrigierend, als das Fältchen auf ihrer sonst so glatten Stirn erschien. "Erst wenn Christus die Tore des Totenreichs einreißt, das Reich des Demiurgen endet und die materielle Welt und die Sophia wieder eins werden, wird das Reich GOttes anbrechen."

Ihre Augen nahmen einen fiebrigen Glanz wie die Ferrucios an, als sie mehr und mehr begriff, was die Grabräuberin vor ihr war. Allerdings mischte sich immer mehr Mitleid in ihre Miene und kein fanatischer Hass, wie es beim Aschepriester sein würde.

"Ein wichtiger Rat, kleine Jägerin des Mammon: Zeige nie Ferrucio von meinem Haus des Mondes diese Seiten von dir oder du hast einen Todfeind!
Du bist ein Kind Abaddons und das ist wohl deine Rolle in dieser verdorbenen Welt. Aber du musst noch viel lernen, wenn du nicht Christen, Moslems und Juden mehr zum Feinde haben willst, als es deine untote Natur bereits macht.

Du weißt nichts und das ist gefährlich. Besonders für eine vom okkultesten aller Häuser.
Du bist ein Mädchen und deshalb ungebildet wie ich vor fast zwei Jahrhunderten. Ich kann dir helfen, Wissen und Weisheit zu erlangen. Und ich bin wahrscheinlich die einzige, die dir das um deiner selbst willen anbieten wird."

[Allegra Aldighieri]

"Das Himmelreich existiert, mein Erzeuger hat mir davon erzählt, und ich habe davon in den Schriften der Alten gelesen. Aber die einzigen Wege dahin wären den Olymp zu erklimmen, oder sich selbst zu verbrennen und als Rauchschwade aufzusteigen - beides nicht sehr attraktive Methoden.
Manche Thanatologen spekulieren, dass die schwarze Kunst Möglichkeiten bietet den Zugang ins Himmelreich zu erzwingen, so wie einst Herakles Charon nieder rang. Nicht dass damit jemals jemand Erfolg gehabt hätte, und mir würde es ohnehin nichts hülfen. Ich denke dass ich dort oben bei den Ouranischen nicht gut gelitten wäre."

Es liegt keine Trauer oder Entsetzen in Allegras Miene, wie man es von einer guten Christenjungfer im Angesicht der ewigen Verdammnis erwarten würde, es klingt mehr eine nüchterne Feststellung von Fakten.

"Ich werde mir merken, mit Ferrucio nicht über Glaubensdinge zu reden.
Es liegt mir ohnehin fern, jedermann mein Denken zu offenbaren - schon die sterblichen Alten haben die Chthonischen gefürchtet, und selbst die Todlosen unserer Art denken oftmals, sie stünden darüber und dass ihr Streben etwas edleres und feinsinnigeres wäre. Nicht umsonst habe ich mich selbst dir gegenüber bedeckt gehalten, solange es ging.

Aber denke nicht, ich sei ein Kind der Unterwelt und Diener des großen Widersachers, des Erebos. Wir Kappadozianer bedienen uns der chthonischen Mächte um unsere Kunst auszuüben, aber wir dienen ihnen nicht. Die Chthonischen sind Werkzeuge in den Händen der Thanatologen, niemals umgekehrt. Ein Kappadozianer, der diese Regel nicht verinnerlicht hat, würde niemals lange genug überleben um freigesprochen zu werden.
Mein weindunkler Schutzpatron hängt zwischen den Welten, er ist weder Ouranischer noch Chthonischer. Aber er weiß, wie man in die Unterwelt herabsteigt und sicher in die Zwischenwelt der Unlebenden das führt, was man aus Hades' Hort begehrt. Es ist der efeubekränzte Dionysos."

Während dieser Litanei an Beinamen ist Allegra damit an der Reihe, dass ihre Augen einen fiebrigen Glanz annehmen und ihr Lächeln immer breiter wird.

"Ich weiß, dass ich ein ziemlich einfältiges Weib bin, keine Gelehrte wie man es von meinem Haus erwarten würde. Ich habe darum Wissen sehr nötig. Ich verstehe zum Beispiel nicht, was es mit dem Reich des Handwerkers auf sich hat und warum es enden muss. Ist dir irgendein Gildenhaus ein Dorn im Auge?"

Natürlich verstand sie den Begriff Demiurge wörtlich und nicht als Titel, ihr Verständnis des Alt-Griechischen war weitaus besser als ihr Verständnis der Theologie.

[Angelique]

Angelique hob eine Braue. Sie hatte gerade mehr über die geheimnistuerischen Kappadokier, ihre Weltsicht und einige ihr frustriend geschützten Geheimnisse gelernt als in hundert Jahren zusammengenommen. Und das, obwohl sie sehr eng mit einer befreundet gewesen war!
Und ihre Matriarchin beschuldigte sie, zu viele Geheimnisse auszuplaudern!

Respekt und paranoide Sorge vor den Kappadokiern wuchsen gerade exponentiell in der Malkavianerin. Das klang zum Teil sehr verrückt und gotteslästerlich megalomanisch und das machte es wiederum sehr glaubwürdig, nahm man die Natur der Vampire zum Hintergrund.

Sie musste sich zusammenreißen, nicht zu jubeln oder ihren Horror zu zeigen. So ging sie lieber auf die Frage ein.
"Demiurge ist ein gnostisches Synonym für den Schöpfer der materiellen Welt, der sich in den bösartigen Teilen des Alten Testaments eingeschlichen hat. So zumindest glauben die Anhänger der synkretistischen Philosophien der Spätantike, die all die in den kleinen Fragmenten deines gezeigten oberflächlichen Wissen der Antike enthaltenen Wahrheiten mit der universellen Wahrheit GOttes in Einklang bringen wollten.
In der Tat ist die Nomenklatura, die an die Hektemoroi und Theten ohne Eigenbesitz erinnert, absichtlich und abwertend. Der Demiurg hat selbst nichts geschaffen, sondern nur die Schöpfung geteilt in Spiritualismus und verdorbene Materia.
Er ist das, was die alten Perser als Azhi Dahaka kannten. Im halbgebildeten Klerus, dem Ferrucio angehört, ist er fälschlicherweise mit Satan, dem Ankläger, gleichsetzt. Eine einfältige Köhlerreligion von Narren für Narren."

[Allegra Aldighieri]

Eine gute Menge an dem theologischen Fremdwortstrudel geht ersichtlich über Allegras Köpfchen - die Kappadozianerin ist nicht dumm, so viel hat Angelique mit ihren Lehrbemühungen herausgefunden, aber weit zu ungebildet um all die Ausführungen voll erfassen, verstehen und einordnen zu können.

"Ein Handwerker ohne eigenen Besitz... Also so etwas wie Hephaistos, verkrüppelt, häßlich, aus dem Olymp verstoßen und voller Mißgunst gegen jeden, der sich an seinen Schätzen oder seinem schönen Weib vergreift?
Wobei Hephaistos später seine Himmelfahrt erzwingen konnte, indem er Hera mit einem verfluchten Thron austrickste, übrigens unter Anleitung meines eigenen Patrons Dionysos."

In Zusammenhang mit ihren früheren Erläuterungen durchzuckt ein Geistesblitz die Kappadozianerin, und sie beginnt eifrig Notizen in griechischen Lettern niederzukritzeln - eine Gewohnheit von ihr wenn sie etwas schnell und präzise festhalten will, trotz der Bemühungen des Mondenkindes ihr die römischen Buchstaben näher zu bringen.

Thron + Bindung↩Fluch Nekromantie + Wein = Schlüssel H-Reich ???

Ein fiebriger Blick und ein zufriedener Gesichtsausdruck blitzen in ihrer Miene auf, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder voll Angelique zuwendet.

"Von Ferrucio habe ich nun schon viel gehört, und kein Verlangen mehr als den nötigsten Kontakt zu ihm aufzunehmen.

Aber es gibt unter unserer Art noch mehr Vertreter aus dem Klerus, darunter zwei, die für mich bedeutsam sind.
Zum einen der wohlwerte Macario, der als Herold darüber entscheidet, ob ich Bürgerin werden darf oder nicht, und dessen Aufgabe, die Suche nach Reliquien für die neue Kathedrale, mit Fragen des Glaubens verknüpft ist.
Zum anderen der verehrte Benedetto, der älteste meines Blutes in der Stadt. Schon seit meiner Ankunft versuche ich Kontakt aufzunehmen, und trotzdem war mir nicht mehr vergönnt als ein kurzer Blickkontakt auf dem Hoftag. Daher habe ich mir noch nicht selbst ein Bild machen können.

Wie ist deine persönliche Einschätzung? Sind sie aus dem gleichen Holz wie Ferrucio geschnitzt, oder von besserer Machart?"

[Angelique]

"Besondere Machart, würde ich eher sagen", antwortete Angelique trocken. "So wie Eisen anders als Bücher sind oder Pietät anders ist als Fanatismus."
Sie lächete versonnen
"Benedetto ist einer der ältesten und ersten noch lebenden Vampire, die ich damals in Genua traf, als ich selbst neu war. Soll ich versuchen, ein Treffen zu arrangieren?"

[Allegra Aldighieri]

Allegra kann bei dem Angebot ein aufgeregtes Leichenstarren nicht verhehlen.

"Du kannst ein Treffen mit meinem verehrten Ältesten arrangieren? Das wäre hilfreich, ja, wirklich hilfreich.

Kurz nach meiner Ankunft habe ich ihm schon einmal geschrieben, aber seither nichts mehr gehört. Vielleicht hatte Matteo recht, und das eingestreute Hellenisch war zu hochgestochen. Ob ich es besser weggelassen hätte und bei der gemeinen Zunge geblieben wäre?
Mein Diener sollte die verworfenen Entwürfe aufgehoben haben, vielleicht willst du drüber schauen was ich besser machen könnte."

Wenn Angelique sich an den ersten Brief erinnert, den die Kappadozianerin ihr geschrieben hatte, kann sie sich ungefähr ausmalen was für ein Massaker am geschriebenen Wort sie erwarten wird.

[Angelique]

"Ich kann ihn fragen. Ich wollte sowieso seine Bibliothek besuchen."

[Allegra Aldighieri]

"Das wäre wirklich sehr lieb von dir wenn du fragen würdest."

Bei der Erwähnung der Büchersammlung wird sie ersichtlich hellhörig und aufgeregt.

"Eine Bibliothek, sagst du? Mit mehreren Büchern? Wie hier im Turm? Oder noch größer?"

Allegra beugt sich vor.

[Angelique]

"Solche Fragen kannst du ihm selber stellen. Ich bin überzeugt, dass ich ihn überreden kann. Ich lasse dir dann Nachricht zukommen."