[Fluff] Zu leicht für die Seelenwaage [Allegra]

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Allegra Aldighieri
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[Fluff] Zu leicht für die Seelenwaage [Allegra]

Beitrag von Allegra Aldighieri »

[1053] Die Welt ist ungerecht

Untermalung (Batman Returns OST - Birth of the Penguin)

"War das wirklich alles?"

Der Padre sah mit scharfem, durchdringenden Blick auf das junge Dienstmädchen herab, so als ob er durch ihr unschuldiges Äußeres hindurchblicken könnte, direkt auf die Makel ihrer Seele.

"Das war alles schlimme was ich gemacht habe, ja" antwortete das junge Dienstmädchen, mit einem etwas trotzigem Unterton.

Eine gut gekleidete Frau mittleren Alters, die im offenen Kirchenraum die Beichte beobachtete, zog die Augenbrauen zusammen und machte einen Schritt auf Beichtvater und Büßerin zu, ehe sie von einem Seitenblick des Priesters gebremst wurde. Der Padre seufzte und beschloss, es noch einmal im Guten zu versuchen.

"Junge Allegra, Gott hat es wirklich gut für dich gefügt. Er segnete dich einen Oheim in der Stadt, der es zu bescheidenem Wohlstand gebracht hatte. Ich kenne ihn - und seine Frau" - ein Seitenblick zu der gut gekleideten Dame - "sehr gut, es sind gute gottesfürchtige Leute. Sie haben sich stets gut um dich gekümmert, und haben stets ihr Bestes getan, um dein Ungestüm zu bändigen und zu einem Mädchen zu erziehen, das jemand zum Eheweib haben wollen würde -"

"Will ich aber nich! Jungs sind doof!" rief Allegra dazwischen und streckte die Zunge heraus.

Der Padre ignorierte den Einwand. Wenn er auf jede Widerspenstigkeit des jungen Frauenzimmers eingehen würde, würde er noch nächsten Sonntag hier sitzen.
"- und du vergeltest es deinen Zieheltern, indem du sie bestiehlst. Und nicht zum ersten Mal. Ich werde jetzt nicht auf die zahlreichen früheren Male zurückkommen, für die du bereits gebüßt hast und für die Gott dir daher bereits vergeben hat, sondern nur auf das letzte Mal, um Allerheiligen herum, als du beim Putzen ein noch nicht verräumtes Schmuckstück deiner Muhme entwendet hast."

Allegra schnaubte leicht. Meine Muhme hat mehr Schmuck, als sie tragen kann. Darf ich nicht auch was hübsches haben? Ich kam lange genug zu kurz, jetzt bin ich auch mal dran!

"Für deine Buße hatte ich dir auferlegt, zwei Monate zu fasten. Und doch gingst du her und stahlst ein Stück Trockenfleisch aus der Speisekammer, wie deine Muhme mir erzählte."

"Ja." räumt Allegra kurz und knapp ein.

"Und hast dir davon Stücke abgeschnitten und in deinen gierigen Schlund gestopft."

"Ja."

"An einem Freitag. Einem Freitag! Während deiner Fastenbuße!"

"Ja."

"Mit einem Silbermesserchen aus dem Eigentum deines Oheims."


Allegra sah hier eine Gelegenheit, etwas gravierendes zu ihrer Verteidigung vorzubringen. "Hatte gerade nix besseres zur Hand, danach hätte ich es natürlich abgewaschen und zurückgelegt."

Der Padre legte seine Hand über seine Stirn und schüttelte leicht den Kopf. "Junge Allegra, die Fastenbuße ist ein Werkzeug, um Reue zu zeigen und die Seele läutern. Leider sehe ich nicht recht, dass sie bei dir wirkt. Nicht nur sind Zweifel angebracht, ob du wirklich Reue zeigst - du verletzt direkt deine Auflagen, und begehst im gleichen Atemzug genau die gleiche Sünde, für die du bereits büßt."

"Hatte halt Hunger!" quakte der widerspenstige Wildfang von einem Dienstmädchen dazwischen.

"Eigentlich würde ich dir zwei weitere Monate Fastenbuße auferlegen, plus zwei Monate wegen dem Silbermesserchen. Angesichts deiner Reulosigkeit würdest du aber deine Buße aber wahrscheinlich ohnehin wieder erneut verletzen.

Glücklicherweise hat es Gott so gefügt, dass er dem Kanongesetz ein Substitut zur Fastenbuße hinzugefügt hat. Anstatt eines Monats Fasten gehen auch 36 Rutenhiebe, sowie..."


Die Muhme war da schon vorgeprescht, und trieb Allegra unter zahlreichen Rutenhieben aus dem Kirchenportal. Der Padre war hinterhergerannt, und rief ihnen hinterher. "...nach jeweils einem Dutzend Rutenhieben ein Bußpsalm!" Aber das nahmen weder Allegra noch ihre Dienstherrin noch wahr, während sie in die Winterlandschaft der Vorweihnachtszeit hinausrannten.

Der Padre nahm es pragmatisch, und sah das Bußmaß an Rutenhieben dermaßen übererfüllt, dass es auf die Psalmen auch nicht mehr drauf ankam. (EInen Moment lang stiegen in ihm Zweifel auf, ob jemand wie Allegra überhaupt zur aufrichtigen Reue fähig wäre, aber als guter Kirchenmann schob er diese Zweifel ebenso leicht zur Seite.)
Ohnehin wäre dies wohl nicht mehr länger Allegras Heimatgemeinde, wenn er das Verhalten ihrer Muhme richtig deutete, so dass er ohnehin keine weitere Gelegenheit haben würde ihr zu vergeben. So vergab der Padre Allegra ihre Sünden aus der Ferne, und fügte angesichts des sich entfernenden Paares zwei Zeilen aus dem Buch Hiob hinzu.

"Qui de convallibus ista rapientes cum singula repperissent ad ea cum clamore currebant... filii stultorum et ignobilium et in terra penitus non parentes."*

*"Aus der Menschen Mitte werden sie weggetrieben; man schreit ihnen nach wie einem Dieb... gottloses Volk und Leute ohne Namen, die man aus dem Lande weggejagt hatte." (Hiob 30:5 und 30:8)
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Allegra Aldighieri
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Re: [Fluff] Zu leicht für die Seelenwaage [Allegra]

Beitrag von Allegra Aldighieri »

[1055] Teufelsgold

Untermalung (Bohren & der Club of Gore - Dangerflirt mit der Schlägerbitch)

Die letzte Zeit war nicht gut gewesen für Allegra. Wenn sie ehrlich war, waren die ganzen letzten zwei Jahre nicht gut gewesen für sie.
Zwar musste sie sich nicht mehr mit ihrem Oheim und ihrer Muhme rumschlagen und deren Versuchen, sie zu zähmen und zu einer guten künftigen Ehefrau zu machen. Aber dafür hatte sie selbst dafür zu sorgen, sich vor Wind und Wetter zu schützen und ihren Magen zu füllen. Gar nicht so einfach, besonders wenn man sich ungern die Hände mit Gelegenheitsarbeit schmutzig macht.

Aber dafür hatte der liebe Gott Allegra mit langen, geschickten Fingern gesegnet, und der Teufel mit dem nötigen grünäugigen Neid, um von all jenen wegnehmen zu wollen die besser gestellt waren als sie. Aber das war nicht nur gefährlich - mehrfach war sie nur knapp der Wut der Bestohlenen und den Bütteln entkommen - es war auch eine sehr magere Existenz, im wahrsten Sinne des Wortes. Die ohnehin schon schlanke junge Frau hatte seit ihrer Vertreibung sicher gut 10 Stein verloren, und auch ihre Kurven wollten angesichts der vielen unfreiwilligen Fastenpausen nicht recht aufblühen. Nicht dass sie letzteres sonderlich störte - sie war immer noch ein ziemlicher Wildfang, der sich auf einem Baum wohler fühlte als in den Armen eines Mannes. Der sie womöglich auch noch abschlabbern wollte, pfuibäh!

Aber die letzte Zeit war ganz besonders schlecht zu ihr gewesen. Seit einem halben Mondlauf hatte sie nichts mehr gegessen. Der Sommer war trocken und dürr gewesen, und die herbstliche Ernte dürftig - nicht einmal Mundraub von Feldern stand ihr offen. Immer wieder musste sie stehenbleiben und sich abstützen, weil ihr schummrig wurde - etwas, das der sonst so quicklebendige Wildfang gar nicht von sich kannte. Etwas musste passieren. Bald. Oder sie würde eines der vielen Opfer der Hungersnot werden, die in ein Erdloch geworfen und mit einer Schippe Kalk bedacht wurden. Nicht nächstes Jahr, nicht nächsten Monat, bald, sehr bald, vielleicht schon nächste Woche, wenn sie ihre gut sichtbaren Rippen betrachtete.

Bei ihrem Hehler, einem Geldverleiher aus dem Judenviertel, hatte sie Gerüchte gehört von Signor du Amiens, einem Händler aus der fernen Normandie, der Leute mit Allegras Talenten suchte und dafür gut zahlte, unverschämt gut.
Hinter vorgehaltener Hand schimpfte man ihn Duabolomiens. Er war bleich, ungemein bleich, mit gebrochenem Blick wie ein Leichnam, und mit einem eiskalten Händedruck, der einem die Grabeskälte in die Knochen stiegen ließ. Noch nie hatte man ihn in einer Kirche gesehen, oder wie er sich in der Mittagssonne sein Geld im Schweiße seines Angesichts verdiente. Sein Gold habe er vom Teufel, und wer dieses Teufelsgold annehme sei verloren. Schon mehr als einer, der sich mit Duabolomiens einließ, sei spurlos verschwunden - oder tot aus dem Sankt-Agathen-Fluss gefischt worden.
Lange war Allegra um das Angebot herumgetänzelt, hatte überlegt anzubeißen und dann doch gezögert - aber nun war die Wahl dazwischen, das Teufelsgold anzunehmen und vielleicht als Wasserleiche zu enden, oder garantiert in einem Arme-Leute-Grab verscharrt zu werden.

So fasste sie sich ein Herz und suchte noch am gleichen Tag die Taverna auf, wo Signor du Amiens gewöhnlich den ganzen Abend lang an seinem Weinhumpen nippte und auf die Unglücklichen wartete, die für ihn arbeiten wollten.
Das Glück - oder Unglück? - war wohl mit ihr, sie erspähte einen Mann auf den Duabolomiens Beschreibung passte. Nicht dass es schwer zu erraten gewesen wäre, seine Blässe und beunruhigende Aura war schwer zu verkennen.

"Signor du Amiens, nehme ich an? Ich habe von Eurem Angebot gehört..."

Allegra machte sicher keinen vertrauenserweckenden Eindruck - die Kleider zerlumpt, Gesicht und Haut schmutzig, das dreckige Haar ungleichmäßig mit einem Messer gestutzt.
Dazu kam ein erneuter Schwächeanfall, wegen dem sie sich auf dem Tisch aufstützen musste.

"...und ich kann das Geld gut brauchen und..."

Normalerweise half es der jungen Frau bei diesen neulichen Schwächeanfällen, sich einen Moment aufzustützen und durchzuatmen. Dieses Mal aber nicht. Ihr wurde schwarz vor Augen, und ihr wurde dumpf gewahr wie sie unter dem Tisch zusammensackte. Über sich nahm sie einen lichten Fleck war, aus dem Engelschöre klangen - ein lichter Fleck, er immer ferner und kleiner wurde, mit immer leiser werdenden Engelschören.
Dafür wurde etwas anderes lauter - Knistern, wie von einem großen Feuer, und dazu Heulen und Zähneknirschen...
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