[1085] Anglerfisch [Angelique, Harl]

[Harl]

“Gut”, sagte Harl. Sein Blick glitt über sie und ihre Schriften, das Zimmer, die Wände, wieder sie.

“Es erinnert mich an …Chrysalis.” Woher das Wort nun kam, war nicht ganz klar, vielleicht nicht einmal ihm selber. Er runzelte die Stirn und grub in seinen halb verschütteten Erinnerungen. “Das hier. Du. Was du sagst. Deine Suche.”

Er versuchte, es in Worte zu fassen, die er wohl nicht wirklich hatte. So wurde es holprig und unfertig:
“Was alles sein könnte, aber noch nicht ist”, versuchte er, etwas wie ‘Potential’ zu beschreiben ohne es zu können. “Vielleicht …ist dein Körper zu klein. Wartet auf ein Wachsen, das nie kommt? Kräftemessen, Schwimmen bis die Gelenke bersten, Tauchen bis die Rippen brechen. ‘Erbärmlicher Körper’ sagst du. ‘Wartender Körper’, frage ich mich. Doch es muss ewig warten? Kann den Geist nie tragen.”

Nun sah er an sich selber herunter. Seine Hand wanderte eine der Narben seines Oberkörpers entlang, die sich von seinem Schlüsselbein bis fast zum Bauchnabel zog. Was auch immer ihn da erwischt hatte, hätte ihn ausweiden können und nur ein paar weiche Rippenbögen hatten irgendeine Art von Schutz geboten.
“Ist mein Körper zu alt?”, fragte er sie und sich. “Doch mein … ‘Vielleicht’, mein ‘Könnte’, es ist einfach gegen deins. Ich lernte… meine Grenzen. Musste und muss, oder ich werde verschlungen, fortgespült, verschwunden. Das macht es einfach. Aber deins? Ewig jede Grenze herausfordern? Ewig wachsen wollen? Müssen?”

Er rieb sich den Nacken und zuckte mit den Schultern. “Hn. Gefährlich. Sehr, sehr gefährlich, kleiner Feuerkäfer.”

[Angelique]

"Ja, ja, JA!", rief Angelique begeistert. "Endlich jemand, der mich versteht!"
Aber sie grinste. "Aber in einem irrst du. Mein Geist wird zwar immer größer, aber er wiegt nichts. Selbst mein kleiner Körper kann ihn tragen. Und eine Chrysalis war ich nur im kurzen Moment meines Todes. Danach bin ich eine Imago, eine Nymphe des Feuerkäfers geworden. Sehr beweglich."
Sie schlug ein Rad mit ihrem gertenschlanken Körper. "Alles hat Vor- und Nachteile. Der größte Vorteil, ist wahrscheinlich, dass sie mich meist nach meinem Äußeren beurteilen.
So, wie sie es auch bei dir tun werden. Sie werden nur den Wilden Mann von jenseits ihrer kleinen geordneten Spielzimmerwelt sehen, nicht den Weisen, der die Weiten des Meeres und der Zeiten sah."

[Harl]

“Ich bin nicht stark, alt, mächtig oder tödlich genug, um dich anzuzweifeln”, meinte Harl darauf langsam. Er neigte den Kopf ein wenig.
“Und Imago könnte sich davon nicht beeindrucken lassen, auch wenn solche kommen, die das alles sind. Die Feuernymphe muss leuchten und brennen.”

“Das ist der Teil, der für dich dabei gefährlich ist.”

[Angelique]

"Mir egal", summte sie glücklich, weil sie mal frei reden konnte und auch noch verstanden wurde. "Wir sind der Wahrheit verpflichtet, wie Malkav uns auftrug und mit eigenem Martyrium voranging.

Als ich hier ankam, war ich zu offen in meinen Worten und wurde fast vernichtet.
Seitdem habe ich gelernt, diplomatischer zu sein, aber meine Offenheit macht mich immer noch zur Außenseiterin, die mehr als einmal fast beim Leuchten verbrannt wäre.

Der Feuerkäfer wird halt gerne Feuerwanze genannt, obwohl er nicht damit verwandt ist, aber selbst damit offenbart er nur die Bildungsferne des Spötters und zeigt die Wahrheit."

[Harl]

Harl nickte verhalten. Er fuhr sich mit einem Finger über drei Narben an seinem rechten Arm, drei unregelmäßige Löcher oder Kerben, die nur hässlich verheilt waren.

“Du verspottest diese Spötter”, stellte er fest. Er sah sie wieder ein Weilchen an. Nein, nicht direkt sie sondern halb durch sie hindurch. Wie jemand, der versucht, etwas in der Ferne klar zu erkennen oder eine Fata Morgana in der Hitze schärfer zu sehen.

“Du bist einsam. Darum und darum und darum”, rätselte er.

[Angelique]

Zuerst schauderte Angelique und erstarrte. So, als fürchtete sie, über die Schulter zu blicken und die Geister zu sehen, die Harl ohne Zweifel sehen musste.
Doch dann war sie ein wenig erleichtert und lächelte sogar glücklich, als würden sogar Geister ihrer Liebsten ihr Trost geben.

"Ja, ich habe viele verloren, die mir teuer waren." Ihre großen Rehaugen schimmerten in feuchtem Rot.
"Irgendwann werde ich bei ihnen sein ... oder so gut in meinen Blutskräften, dass ich sie besuchen kann."

[Harl]

“Hn..”, meinte Harl. “Feuer. Ja. Der uralte Fluch.” Er lächelte traurig. “Hell. Geblendet. Heiß. Aschespuren.” Er schüttelte sich.

“Es tut mir leid.” Und damit wendete er sich zum Gehen.

[Angelique]

"Mir auch! Komm bald wieder!"

Sie begleitete ihn noch zur Tür, dann blieb sie in der Dunkelheit zurück.

[Harl]

Harl will sich den Leuchtturm im Hafen ansehen und wird dabei von Angelique entdeckt. Die beiden stellen sich einander vor und kommen in ein etwas obskures Gespräch übereinander, das gemeinsame Blut, über Genua. Harl zieht sich am Ende zurück.