[1086] Vergangene Zeiten und Leute [Angelique, Harl]

[Harl]

Irgendwann verstummte Harl. Er lauschte Angelique, den Hunden, der Stadt, dem Wind. Momente wie diesen bekommt man nie wieder zurück.

Er hatte sich gegen die Wand sinken lassen und nun saß er einfach da, ein Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt, den Kopf einfach zurückgelehnt, so dass sein Blick weiter an die Decke ging.

“‘ch kenn’ ein paar von Brimirs …Familie. Wenn ich sie seh’, werd’ ich ihnen die letzten …Strophen seiner Saga bringen”, meinte er dann irgendwann. Er lugte kurz in Angeliques Richtung ohne den Kopf sonderlich zu bewegen.

“Was ist mit anderen geworden aus …der Zeit, als Brimir hier jagte? Maximianus? Benedetto… hast du erzählt. Acacia? Noch andere?”

[Angelique]

Angelique holte einige Pergamente hervor aus ihrem Chaos.

"Brimir war sehr lange da. Länger als ich. Ich weiß deshalb nicht genau, wen du meinst. Die meisten aus der Zeit sind Asche im Wind oder sozial so tot wie ich.

Alerio, getötet von Fabrizio. Fabrizio auch tot. Melissa und ihre Ghul-Legion Geschichte. Die Hexe Acacia verdient vernichtet. Titus vernichtet. Sousanna verschollen. Gaius vernichtet. Seinfreda vernichtet. Toma vernichtet. Matteo vernichtet. Caterina vernichtet. Adelchis vernichtet. Der Kult der Jagd zerschlagen. Maximianus wegbefördert. Godeoc lange verschollen. Ferrucio immer noch derselbe Fanatiker und hoch im Ansehen als Hofgelehrter und Aschepriester. Vergonzo immer noch ein Baumeister und trotzig gegen all den unwerten Hohen Abschaum. Viele andere kamen danach und blieben nur kurz oder wurden vernichtet."

Sie seufzte, als sie sich an all die erinnerte, die nicht mehr waren. Sie fühlte sich plötzlich so alt und müde.

[Harl]

Harl lauschte den Namen und er lauschte Angeliques Müdigkeit. Er sprach die Silben der Namen leise für sich nach, Alerio. Fabrizio. Melissa und die Melissiden. Acacia. Titus. Sousanna. Gaius. Seinfreda. Toma. Matteo. Caterina. Adelchis. ‘Kult-der-Jagd’ klang merkwürdig, als er es aussprach. Vielleicht fand er es selbst merkwürdig. ‘Maximianus’… hier zögerte er kurz, den hier war ein erster Überlebender. ‘Ferrucio’ - wieder eine Pause. ‘Vergonzo’ und Harl klackte leise mit der Zunge. Alle Namen sprach er so leise gewispert für sich nach, alle bis auf einen.

Er schien sich nicht an dem “wert” oder “unwert” zu stören, an Abschaum oder nicht. Andere hätten Angelique als “Abschaum” bezeichnet und dennoch saß er hier an die Wand gelehnt und lauschte. Wieder andere hätten ihn als Abschaum bezeichnet. Es war ein Wort, das mehr über den sagte, der es aussprach, als über die, die es bezeichnen sollte.

“Alles ist ewig in …Bewegung. Veränderung. Wandel”, sagte er ihr. “Nichts ist ewig. Außer dieser Bewegung.” Er dachte für eine kleine Weile darüber nach. “Außer dem, was die Bewegung gemacht hat”, fügte er dann hinzu.

Und dann meinte er: “Wenn ich’s dir beibringen soll. Zu sein, dort unten. Nh… .” Ohne sich ansonsten großartig zu rühren, hob er einen Arm und zeichnete mit der Hand Angeliques Gestalt in der Luft nach. Es war wie das Wispern der Namen von zuvor, eine Art Betasten des Echos. Hier war es der Anblick, den er betastete, der Schein.

“‘s kann sein, dass es dich umbringt”, meinte er dann.

[Angelique]

"Das würde mich schon brennend interessieren und ob ich lebe, interessiert hier kaum einen.
Aber ich bin ausgestoßen aus dem Haus Malkavs, als ob die das könnten! Ich bin Autarkis und kann keinen Handel mit anderen Kainiten eingehen, erst recht nicht mit einem meines ehemaligen Hauses, noch dazu betreffend seiner Geheimnisse. Denn gerade ist mir verboten.

Also muss ich leider ablehnen.
Git es sonst noch irgendetwas, was du wissen möchtest?"

[Harl]

Harl gab ein langgezogenes Geräusch von sich. Halb ein Raunen, vielleicht ein Seufzen, vielleicht etwas wie ein Grollen, irgendwo tief aus dem Bauch und der Brust heraus.

“Schwimmen”, sagte er. “Oder sinken.”
Es klang simpel und vielleicht meinte er auch nur das Geheimnis, wie er da draußen im Wasser überlebte. Vielleicht auch nicht, nach ihren Worten von zuvor. Er lachte nicht sondern betrachtete sie wachsam. In Harls Welt war der Kampf ums Überleben der Einzige, der wirklich zählte. Heilig.

Er dachte einen Moment nach. Dann sagte er: “Du hast mir das Lied gesungen. Fragen beantwortet. Ich gebe dir etwas für dein… nh… Schwimmen. Oder Sinken.”

Er hob einen Moment den Kopf und blickte in die Richtung, in der dort draußen am Nachthimmel der Mond hängen würde. Er musste ihn nicht sehen, um zu wissen, wo er war.

“Mein Blut bekam ich von Kirke, der Zauberin. Ahnin vom Blut des Mondes. Sie hat ein Schiff und jagt. Doch wenn der Blutmond kommt, dann kehrt sie auf ihre Insel zurück.” Unverwandt sah er Angelique an.

“Sie ist …alt. Mächtig. Wenn du ihre Hilfe erbitten willst, musst du stärker werden als jetzt.” Sein bleicher, halbblinder Blick war durchdringend. Nicht feindselig oder böse - solche Dinge waren jenseits dessen, was er brauchte oder war oder tat. Doch der Blick durchdrang die bloße Kindergestalt, Fleisch und Blut und Staub und Knochen.
“Nicht im Blut stärker. Oder im Wissen”, versuchte er zu erklären. Wie erklärt man einer Blinden die Farben?
“In dir selbst: Rot, hungrig. Schwarz, gewaltig. Silbern, ohne Alter. Blutmond. Du und dein Hunger. Das ist die Weise, auf die du stärker werden musst, wenn du den Weg gehen willst.”

Er stand langsam auf, wahrscheinlich, um sich wieder aufzumachen.

“Wenn du schwach dorthin gehst, dann bist du nichts als Beute.” Harl schauderte einmal, ahnte wohl, wie tödlich das war. “Das gebe ich dir im Austausch für die letzten Strophen eines anderen Jägers.”

[Angelique]

"Habe vielen Dank dafür. Ich bezweifle, dass ich je diese Stärke aufbringen werde. Aber darum zu wissen, ist vielleicht gut, sollte ich diesen Weg einschlagen wollen."

Sie begleitete ihn zum Ausgang. "Komm ruhig wieder vorbei, solange sie mir noch nicht den Turm genommen haben oder sie mir einen anderen Grund gegeben haben, diese Stadt zu verlassen."

[Harl]

Er sah zu ihr herunter und für einen Moment war da diese Illusion von dem älteren Mann, vielleicht einem Vater, Onkel oder Großvater mit dem Kind. Aber er war zu abgerissen und zu hässlich dafür. Sie zu sehr hier zuhause, in diesem Turm, mit den normannischen Kriegern, Reichtum und schriftgebanntem Wissen. Es war eine billige Illusion, die schnell zerplatzte.

Dann beugte er sich zu ihr herunter, plötzlich sehr dicht. Tief sog er die Luft ein, ihren Geruch, als sie dastand und so einsam klang wie der Wolf, der den Mond anheult. Er blieb so, atmete diesen Geruch ein und aus, schneller als ein Mensch atmen müsste, mehr ein Wittern als die Nachahmung von menschlichen Notwendigkeiten.

“Trotz?”, fragte er, vielleicht auf ihre Worte hin. “Trauer? Angst? Stolz führt zu Wut. Ohnmacht zum Schutz für dich, zu Verachtung für … ‘die da’...?” Er raunte diese Worte. “‘Die da, die anderen. Die Monster. Nicht du. Die anderen. Die Großen. Die Dummen. Die Edlen, Blinden, Jüngeren, Schlechteren. Hauptsache anders.’” Kein Spott, aber vielleicht dennoch unangenehm, denn solche Worte haben immer Schärfe und können darum schneiden.

“Angst? Um… deine Vergangenheit? Die Erinnerungen. Turm. Errungenschaften. Zeit. Deine …Blutsklaven. Dir ergeben, geteiltes Blut. Liebe?”

Er kauerte sich wieder hin, um dicht bei ihr zu bleiben, zu atmen, ein und aus, zu schnell, zu leicht.

“Willst du wirklich, dass einer wie ich wieder… …kommt?”, fragte er. “Ich bin, was ich bin.”


—

Spoiler!

Wahrnehmung + Empathie: 8, 8, 8, 4, 3, 2, 1
+Anfänge von Auspex 2 (noch kein Wurf, dauert)

[Angelique]

"Nein, nein", wehrte sie ab. "In erster Linie bin ich schuld. Ich hätte mich ja anpassen können und so werden wie die anderen. Aber das konnte ich nie. Ich konnte nicht lügen, wie meine Blutlinie erwartete, oder sterben, wie sie auch wollte.
Ich konnte ihre Spiele nicht mitspielen, weil ich sie kindisch fand und die Reglen willkürlich.
Nein, am Ende ist es meine Schuld.

Und Angst habe ich keine. Zumindest nicht um mich. Und an weltlichen Dingen hänge ich nicht sehr."

Sie lächelte und wirkte nicht sehr eingeschüchtert.
"Du kannst ruhig wiederkommen", schloss sie.

[Angelique]

Als Harl dann ging, hatte Angelique viel, worüber sie nachdenken musste.
All diese Informationen und Implikationen.
Harl war etwas Altes und erfreulich von Genuas Verkommenheit Unberührtes.

Fazit:
Harl und Angelique treffen sich und Angelique bringt den Alten auf den neuesten Stand und klärt über das Schicksal von älteren Bewohnern Genuas auf.
Harl wirbt für Unleben unter dem Meer, was Angelique faszinierend findet, sich selbst aber für zu schwach dafür.