[1087] Si vis amari, ama! [Gris, Aurore (SL)]

Wenn die Sonne hinter das Appenningebirge sinkt, kriechen die Verdammten aus ihren Löchern. Dies sind ihre Geschichten.
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I Tarocchi
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[1087] Si vis amari, ama! [Gris, Aurore (SL)]

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Der Ort, an welchen Gris geladen worden war, zeigte sich als ein Anwesen, das in den noch winterkühlen Hängen nördlich von Genua gelegen war. Der Frühling brach hier und da schon hervor, in frischem Grün und den ersten, zarten Knospen. Der schmale Pfad, der sich hier herauf wand, wurde von Myrte und wildem Thymian gesäumt, dessen Duft man selbst jetzt schon erahnen konnte.

Das Anwesen war von einer Mauer umsäumt, doch schon von Außen konnte man die Wipfel von Obstbäumen in der Nacht erahnen. Am Tor standen Wächter, die Gris in Augenschein nahmen und ihn dann durchließen. Einer von ihnen eilte voraus, wohl um Bescheid zu geben. Zwei andere begleiteten ihn den Pfad hinauf zum hell erleuchteten Haupthaus. Rechts und links wurde dieser Pfad von den dunklen Schemen anderer Gebäude gesäumt, Ställe, Kornspeicher oder Gesindehäuser vielleicht.

Dieses Haupthaus selbst forderte allerdings Aufmerksamkeit: Es war hell erleuchtet und zeigte sich in strahlendem Weiß. Seine Bauweise erinnerte an die alter, römischer Villen, nun gekrönt und gesäumt von Lichtern. So wurde es seinem Namen mehr als gerecht: Villa Illuminata.

Eine weiß gefärbte Haupttür öffnete sich für den nächtlichen Gast, um ihn in eine Eingangshalle einzulassen. Kostbare, in sich verschlungene Mosaike bedeckte den Boden und genau dort, im Zentrum jener Eingangshalle, stand ein großer und kräftiger Mann. Lucio il Onnivorno, der Allesfresser, begrüßte den Gast mit einem herzlichen und freundlichen Lächeln: “Willkommen, wohlwerter Gast”, sagte er und machte eine einladende Geste zur Seite hin, wo eine Schale mit warmem Wasser und Tücher dazu einluden - oder dazu aufforderten - sich den Staub und Dreck des Marsches abzuwaschen. Ein paar getrocknete Rosenblüten trieben im Wasser und entfalteten einen zarten Duft.

“Ich hoffe, Eure weite Reise war nicht zu beschwerlich. Im Winter sind die Berge kaum zu überqueren”, begann der Allesfresser und obwohl all das auch einfach nur höfliche Floskeln hätten sein können, klang es aus seinem Munde doch nach echter Anteilnahme für den Gast - und vielleicht auch einer Prise Neugier für Nachrichten aus der Ferne.
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Gris de Galard
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Re: [1087] Si vis amari, ama! [Gris, Aurore (SL)]

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Sehr gerne hätte Gris sich selbst davon überzeugt, dass dieser Weg hinauf auf die Hügel völlig unbeschwert gewesen. Immerhin traf er Blut von seinem Blute. Doch am Ende war es eben doch als wäre Aurore die schöne, edle Erstgeborene und er der Bastard des Bastards des ungeliebten Vetters. Immer wieder schloss er die Augen und versuchte sich auf den Hauch von Thymian in der kalten Winterluft zu konzentrieren.
Es würde gut werden. Die höchstverehrte Aurore, hellstrahlender Stern und Prinz von Genua hatte gerufen, und er, Gris de Galard, war ihrem Ruf gefolgt. Beiläufig fuhr er mit der Hand unter seinen Umhang und streifte das kunstvolle Schächtelchen, das gut darunter verborgen an seinem Gürtel befestigt war. Es musste gut werden.

Kurz vor der Mauer ließ er noch einmal die eisige Luft in seine toten Lungen strömen, dann strafften sich die Schultern unter dem dunklen Mantel und er trat auf die Wächter zu. Ihr Anblick zauberte ihm ein dezentes, aber unverkennbar freundliches Lächeln auf das aristokratische Gesicht. Mit einem Nicken würde er sich bei den Wächtern, die ihn begleiteten, erkenntlich zeigen, ehe der Sohn der Nacht sich einen Augenblick nahm, um der Villa Illuminata die Bewunderung zu zollen, die ihr gebührte.

Schließlich kamen Sie zur Haupttür und Gris trat in den prachtvollen Vorraum ein. Seine hellen Augen lagen nun ganz auf dem Mann, der ihn begrüßte. Er deutete eine Verneigung an, die ebenso Schmeichelei wie Ehrerbietung sein mochte, doch in jedem Fall erahnen ließ, dass der Gast einiges von Höflichkeit verstand.
"Ich danke euch, werter Herr", erwiderte er. In der angenehmen Stimme war der Akzent nur eine Ahnung, ein Hauch, der seinen Worten ein klein wenig Charme verlieh. In einer gelassenen Geste nahm er den Mantel ab und hängte ihn sich über den Arm - schien die Schönheit und Reinheit des Ortes nicht mit dem Staub der Straßen beschmutzen zu wollen. "Es war ... ein Abenteuer, von dem ich, wenn ich ganz ehrlich bin, hoffe, es nicht so schnell wiederholen zu müssen. Die Kälte und das stete Heulen der Wölfe in der Nacht..."
Bei dem Gedanken schauderte der braunhaarige Mann und warf seinem vorübergehenden Gastgeber einen entschuldigenden Blick zu, während er die Hände in das Wasser mit den Rosenwasser tauchte, um sich zu waschen. "Aber ich will einen Mann wie euch nicht mit meinem Gejammer über ein paar unangenehme Umstände belästigen." Ruhig nahm er sich eins der Tücher, um sich abzutrocknen und dann auf Lucios Reaktion zu warten.
"Darum, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben." - Paulus von Tarsus, Römerbrief 5,12
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I Tarocchi
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Re: [1087] Si vis amari, ama! [Gris, Aurore (SL)]

Beitrag von I Tarocchi »

Sobald Gris sich ihm wieder zuwandte und so antwortete, verneigte sich der Allesfresser einmal. “Mein Name ist Lucio. Ich diene der höchst verehrten Aurore und für so manchen Neugeborenen bin ich derjenige, der Nachrichten oder Fragen entgegennimmt. Euch geleite ich nun zu ihr.”
Herzlich klang das, wie er das sagte, und auch wohl ein wenig mitfühlend für einen, der eine lange und harte Reise hinter sich haben musste. Bei der Bemerkung zu den Wölfen hatte der Allesfresser schon ein wenig grimmig ausgesehen, so als könnte das noch irgendwie die Wölfe vor den Toren abwehren und von diesem Gast fernhalten.

Er führte nun Gris weiter, über jene in eleganten Mustern gelegten Fußböden und dann einen Säulengang entlang des Atriums der Villa entlang. Dieses Atrium wirkte nun, im Winter, eher schlicht und ein Brunnen dort fiel sofort auf: Den Formen einer Venusmuschel nachempfunden, öffnete sich sein Becken. Sein Sockel war in Kies und Sand gebettet und auch das erinnerte ein wenig an jene alte Geschichte von einer mythischen, fremden Göttin der Schönheit und des Schönen, die aus einer Muschel in die Welt gestiegen sein sollte.

Doch als der Allesfresser die Tür zur Weißen Halle der Villa öffnete, verblassten alte Märchen und fahle Träume einfach. Denn dort, in jener Halle, stand die Weiße Prinzessin von Genua. Sie saß noch nicht auf dem Löwenthron, der aus dunklem Holz geschnitzt einen vollen Kontrast zu der weißen, marmornen Pracht der Halle bildete. Zwei hölzerne, brüllende Löwen säumten seinen Sitz und trugen seine Armlehnen auf ihren Schultern und Rücken.

Aurore jedoch stand auf dem weißen Podest, das wiederum diesen Thron von dem gefliesten Fußboden der Halle abhob. Sie hatte den Blick ein wenig gehoben, sah hinauf zur Decke, wo sich eine wohl recht frische Malerei von weißen Blüten, grünen Ranken und blauen Wellen oder Wolken spannte. Erst, als Gris und Lucio bereits die Halle betraten, senkte sie langsam ihren Blick und dieser Blick konnte einem den Atem rauben.

Denn die Weiße Prinzessin von Genua war wunderschön: Haut wie perfekter, polierter Marmor, weiche, braune Locken, eine schlanke, mädchenhaft jugendliche Gestalt. Doch das war nicht die Essenz dieser Schönheit.
Nein, das Atemberaubende lag in dieser Andeutung eines Lächelns, das vielleicht tatsächlich in der Lage wäre, Kriege zu entfachen wie es in Märchen und Liedern geschah. Vielleicht war dies sogar bereits geschehen. Vielleicht war sie ein Quell solcher Legenden.
Die Schönheit lag in der Sanftheit jenes Blicks, der der eines Mädchens sein könnte, das gerade eben erst zur Frau wird, das noch mit Unschuld auf die Welt sieht und vielleicht mit der ersten, zarten Sehnsucht auf die Umarmung eines Liebsten.
In dieser Zartheit lag etwas, das einen tief im Innersten anrühren wollte, das beschützt und verehrt werden sollte, das die unmögliche Hoffnung im Herzen entzündete, dass vielleicht nicht alle Märchen nur Fantastereien und Lügenbilder seien. Dass vielleicht diese Welt nicht nur eine Welt der Dunkelheit war sondern dass es darin einen Streifen Licht am Horizont gab.
Aurore, die Weiße Prinzessin.
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Gris de Galard
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Re: [1087] Si vis amari, ama! [Gris, Aurore (SL)]

Beitrag von Gris de Galard »

"Ich danke euch, werter Lucio.", hatte der Sohn des Kains erwidert und es ganz genau so gemeint. So folgte er ihm, auch wenn sich dieses Folgen nicht weniger angespannt anfühlte, als seine Reise durch die Berge und an den Fängen von Wölfen vorbei.
Doch er riss sich zusammen. Sein Schritt folgte dem Führer gemessen, nicht gerade lässig, aber auch nicht allzu angespannt. Die Form der Muschel ließ etwas in seinen hellen Augen anerkennend aufblitzend. Nach allem, was er von Aurore gehört hatte, erschien ihm dieses Motiv passend. Ein Relikt aus heidnischen Zeiten... Berauschende Schönheit, die beinahe nicht von dieser Welt zu stammen schien...

Doch all diese Gedanken schienen nichtig, ja beinahe schal als Gris sie endlich sah. Hätte er noch geatmet, wäre sein Atem vermutlich ausgesetzt. Die weiße Prinzessin von Genua. Keine Beschreibung, die er zuvor von ihr eingeholt hatte, war dieser Schönheit auch nur im Entferntesten nahegekommen. Sie war keine Frau, der man Bewunderung und Verehrung schenken musste. Man bewunderte und verehrte sie einfach. Zumindest, wenn das eigene Herz nicht aus Stein oder so eisig wie die Berge war, die er überquert hatte, um ihr zu dienen.
Er war kein geiler Bock - zumindest ging es gerade nicht im Geringsten um die Reaktion eines Lebemanns auf eine schöne Frau, die man lieben, vielleicht auch verführen wollte. Aurore strahlte so viel mehr aus als schnöde Attraktivität. Da war viel mehr, das sie umwaberte und sich mit dem Wissen um die Macht, über die sie vermögen musste, verband.

So fiel es dem scheins so jungen Untoten nicht schwer, vor ihr auf die Knie zu fallen als ihr Blick ihn traf und den Kopf so weit zu senken, dass da nur noch der Fließenboden war. "Höchst verehrte Aurore, es gibt nicht genug Worte, in den Sprachen, die ich spreche, um euch dafür zu danken, dass ihr mich Gris de Galard, Neugeborenen vom Blute der Könige, gezeugt von Ayol Marquis de Clermont-Tonnerre, Ancilla vom Geschlecht der Könige, Kind der Constance de Galard, Ahnin aus dem Blut der Könige, in dieser Nacht empfangt.", begann er zwar leise, aber gut hörbar. Die Beerdigungen und Gottesdienste, denen er beigewohnt hatten, hatten seine Stimme geschult, sodass alle Ehrfurcht den warmen Bariton seiner Stimme nicht zittrig oder kriecherisch werden ließ.

Seine Finger hatten inzwischen das Schächtelchen befreit und in einer geschmeidigen Bewegung schaffte es, es zu öffnen und ihr darzubieten, ohne Körper oder Blick von den Fliesen zu heben. Eingerahmt im Schutz des polierten Holzes lag auf elfenbeinfarbenen Samt ein gläsernes Fläschchen, in dem sich eine klare Flüssigkeit befand. Auf ihrem hellen, weichen Bett schien ein bläulicher oder violetter Schimmer darin zu liegen, der Schlieren ziehen würde, wenn man die Flüssigkeit in Bewegung bringen würde. "Es ist nicht viel, was ich euch aus meiner Heimat bringen zu bringen vermag. Noch weniger ist es, das eurer würdig ist es. Und ich fürchte noch immer, dass ich gescheitert sein könnte. Ich kann euch also nur demütig bitten, diese Essenz des feinsten Lavendels dennoch anzunehmen, auch wenn sie nur gering scheinen mag. In meiner Heimat spendet uns ihr Wohlgeruch Trost in dunklen Nächten, ebenso wie der Gedanke an die weiße Prinzessin Genuas mir auf meiner Reise Trost spendete."
"Darum, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben." - Paulus von Tarsus, Römerbrief 5,12
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I Tarocchi
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Re: [1087] Si vis amari, ama! [Gris, Aurore (SL)]

Beitrag von I Tarocchi »

Aurore sah sich all dies an. Sie trat zu ihrem Thron zurück und während Gris noch dabei war, sich und sein Geschenk zu präsentieren, strich sie über das dunkle Holz. Als er geendet hatte, setzte sie sich.
Es waren diese kleinen Bewegungen, die sie lebendig machten, lebendiger und auf eine seltsame Weise echter als irgend jemanden sonst. Und es war diese jähe, reglose Stille danach, die sie ewig machte, zeitlos wie perfekte Kunst.

Der Moment dauerte an, doch nicht zu lang, denn plötzlich lächelte Aurore. Es war kein diplomatisches, kein aufgesetztes, kein fein einstudiertes Lächeln. Es war das Lächeln des jungen Mädchens, arglos, schamlos, unverblümt. Für ein Lächeln wie dieses könnte man Morde begehen wollen.

Sie sagte etwas, doch er konnte nicht verstehen. Latein war das, geschliffen, klar, ohne all die Abnutzungen durch Mundarten, durch Jahrhunderte. Er konnte hier und da ein Wort ausmachen. Etwas wie ‘genova’ war darin und ‘casia’ für ‘Lavendel’. Was sie sagte, klang … es klang wie ein freundlicher Scherz, vielleicht? Irgendwie verbarg sich ein Lachen hinter diesem Tonfall, gänzlich unbeschwert, leichtherzig.

Aurore hob die Hand ein wenig, machte eine zarte Geste hin zu jenem Präsent, das Gris darbot. Sie zeigte darauf. Wollte sie es haben? Hatte sie vielleicht nur einen Kommentar darüber fallen lassen? Sie senkte die Hand jedenfalls wieder, sprach erneut ein paar Worte. Gris erkannte seinen eigenen Namen dazwischen wieder. Sie hob ihre Augenbrauen ein wenig. War das womöglich eine Frage gewesen? Ein Moment der Stille legte sich über die Weiße Halle… .
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Gris de Galard
Ventrue
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Re: [1087] Si vis amari, ama! [Gris, Aurore (SL)]

Beitrag von Gris de Galard »

Gris zuckte zusammen, als hätte sie nicht gelächelt, sondern ihn geschlagen. Er war ein unfassbarer Dummkopf! Wäre da noch Blut in seinen Wangen gewesen, wäre die Röte ganz langsam hinter seinem Bart empor gekrochen, um den Knienden in einen Trottel mit einem Himbeerkopf zu verwandeln.
Natürlich sprach eine römische Göttin keine profane Sprache wie Französisch oder Italienisch. Natürlich sprach sie Latein und er konnte nur das, was er in unzähligen Messen aufgeschnappt hatte.
Doch auch ohne die Röte in den Wangen sah man dem Ventrue an, wie sehr ihn sein Fauxpas traf. Wie eine getaufte Maus sah er zu der weißen Prinzessin empor. Dann sah man, wie hinter seiner Stirn Räder zu rattern begannen. Er musste versuchen, die Situation zu retten. Irgendwie.

Was sagten die Priester immer und was bedeutete das ungefähr? Er musste es versuchen.

"Mea culpa" Stockend kam es ihm also über die Lippen: "stultus quoque si tacuerit sapiens putabitur et si conpresserit labia sua intellegens" Ein Narr hätte für klug gehalten können, wäre er still geblieben. Und beim Stultus deutete er eindrücklich auf sich selbst. Die Worte kamen aus seinem Mund wie scharfe Kieselsteine, schienen nicht wirklich dort hineinpassen zu wollen. Eigentlich war es ein wunder, dass ihm nicht ein kleines Rinnsal Blut aus seinem Mundwinkel rann. So schmerzhaft und schwer schien es ihm zu fallen, die Worte zu finden und zu formen. Doch er bemühte sich offensichtlich als hinge sein Leben, auch wenn er über jede Silbe beinahe zu stolpern drohte. Die Konzentration war gerade beinahe greifbar, während er wie ein Seiltänzer, der den Seiltanz lernte, seinen Weg durch die Sätze suchte, die er irgendwann in der Messe oder dem Unterricht in seiner Kindheit hatte auswendig lernen müssen.

"Placet tibi, ..., obsequium servitutis meae" Er hob noch einmal sein Geschenk, sah beinahe verzweifelt aus. Reckte es ihr entgegen als hinge sein Unleben davon ab. Und um ehrlich zu sein, tat es das vielleicht.

Dann sah er sich ein wenig Hilfe suchend im Raum um, fand im Augenwinkel Lucio und schien wieder ein wenig Hoffnung zu schöpfen, als ihm ein Gedanke kam. Seine Augen leuchteten beinahe flehend auf: "aperi os tuum muto et causis omnium filiorum qui pertranseunt." Er deutete auf den Diener und seine Lippen formten auf Italienisch ein so intensives Bitte als spräche er gerade ein besonders flehendes Gebet.
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I Tarocchi
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Re: [1087] Si vis amari, ama! [Gris, Aurore (SL)]

Beitrag von I Tarocchi »

Ein Moment der Stille. Der Allesfresser fing Gris’ Blick auf, doch er rührte sich nicht, wandte sich nur seiner Herrin zu. Diese Herrin saß still auf ihrem Thron. So, als müsste sie über ein kleines Rätsel nachdenken, hob sie einen Finger und tippte sich an ihr Kinn.
Es war offensichtlich gespielt, diese Geste - offenbar wollte sie sich durch dieses kleine Schauspiel nicht jene Leichtigkeit nehmen lassen. Doch Aurore war nicht grausam in ihrer Spielerei, wenigstens nicht heute, nicht jetzt. Sie hob jedoch die Hand, gebot dem Allesfresser Schweigen.

Stattdessen beugte sie sich von ihrem Sitz aus selbst ein wenig vor. Ihre Stimme fand in die weicheren Klänge französischer Mundarten - natürlich sprach sie die Sprachen ihres eigenen Erzeugers und Großerzeugers, Geoffrey le Croise und Alexandre du Paris. Ihre Aussprache klang älter als das, was Gris gewohnt war, ein wenig angestaubt, vielleicht exotisch, vielleicht hier und da schwer zu verstehen.

“Dann sprechen wir in einer anderen Zunge, die ebenso nach Heimat klingen kann”, sagte sie ihm. “Es soll ein Geheimnis sein, so wie ich dir rate, dass du auch deine eigene Linie nicht jedem nennst, junger de Galard.”
Sie lehnte sich wieder auf ihrem Thron zurück und ein Anflug von melancholischer Trauer färbte ihre nächsten Worte dunkler: “Dies sind nicht die Höfe der Liebe.”

Langsam lehnte sie sich auf dem Thron wieder zurück. “Was führt dich hierher, von jenen Höfen her hinein in die See der Schatten? Dein Name allein könnte einigen Feinden des Blutes der Könige genügen, dich auszulöschen. Und diese sind nicht selten auf dieser Seite der hohen Alpen.”
Sie hatte ihm noch nicht gestattet, sich zu erheben. Es wirkte beinahe wie eine Nebensächlichkeit, ein kleines Detail der ganzen Szene. Doch es passte zu der Art ihres Blicks, so wie er nun auf Gris ruhte. So viel lag darin: Die Melancholie von zuvor, noch immer ein paar Funken der ursprünglichen Leichtigkeit und etwas, das unendlich, schrecklich selten war in der Nacht. Seltener noch bei einer wie ihr, die Jahrhunderte gesehen haben musste: Hoffnung?
Nein, das war gewiss unmöglich, wollte die feste Vernunft hier vielleicht raten. Eine wie sie war zu alt, zu kalt und glattgeschliffen. Sicherlich war all dies nur Fassade, meisterlich gewirkte Kunst, mit der sie auf der Seele des jungen Untoten spielte wie ein Meistermusikant auf seinem Instrument.

Und doch… und doch schien dieser Ausdruck in ihrem Blick und in ihrer Miene so echt, gerade weil er so unerhört unmöglich war.
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Gris de Galard
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Re: [1087] Si vis amari, ama! [Gris, Aurore (SL)]

Beitrag von Gris de Galard »

Gebannt hatte der Ventrue Aurores Zögern beobachtet. Er hatte völlig regungslos zugesehen, wie sich ihre Hand hob und sie ihrem Diener Schweigen gebot. Beinahe hätte er den Kopf gesenkt und sich geschlagen gegeben. Doch wenn er hier nicht hergehörte - und nicht in seine alte Heimat, wohin sollte er dann noch gehen? Dieser Gedanke half ihm, den Kopf oben und den Blick auf der weißen Prinzessin zu halten.

Als sie schließlich die Stimme erhob und sich der Klang nach Heimat im Saal ausbreitete, wenn auch anders als das, was er kannte, älter und fremder, konnte man ein seltsames Schauspiel beobachten: Der kniende Tote atmete erleichtert auf.
"Höchst verehrte Herrin, merci beaucoup", erwiderte er in der Sprache, in der er aufgewachsen war. Seine Worte klangen nun sofort lebendiger. Wenn Gris seine Muttersprache sprach, dann konnte man darin die wogenden Felder um den Sitz seiner Eltern hören. Hörte die Leichtigkeit jenes jungen Mannes, der er einmal gewesen war.
Und dennoch drückte ihn seine Dankbarkeit erneut nieder. Im knien deutete er eine erneute Verneigung an. "Nichts davon wird meine Lippen verlassen. Ebenso wie meine Linie von nun an ein wohl gehütetes Geheimnis sein soll."

Vor einer Dame wie ihr würde er gerne auf dem harten Boden knien. Stunde um Stunde. Wenn sie ihn doch nur weiter mit diesem Blick ansah, in dem dieser Hauch Hoffnung von Hoffnung schimmerte.
Und doch zögerte er bei ihrer Frage. Er wollte ganz und gar offen sein ... und doch, ein schönes, reines Wesen wie sie? Würde der Grund, weshalb er Clermont-Ferrand den Rücken gekehrt hatte, nicht diese Hallen voller Licht und Gutem beschmutzen?

Gris seufzte und ließ den Kopf ein wenig hängen, ehe er erneut zu ihr aufsah und antwortete: "Die Höfe der Liebe haben mich gelehrt, was ich wissen muss, um auf so manchem Parkett zu tanzen. Dafür bin ich Ihnen dankbar. Und doch glaube ich, dass ich anderswo mehr tun kann. Ich bin lieber unter Menschen als auf Kirchenbänken Loblieder zu singen." Er zuckte die Schultern und schien diesen Umstand einen Augenblick zu bedauern. Als wisse er, dass er die Erwartungen der Söhne des Kains in seiner Heimat aus schlichtem Unvermögen nicht erfüllen konnte, selbst wenn er sich dafür ein Bein abhackte.
"Ich habe von den Gefahren gehört, die sich auf dieser Seite der Alpen verbergen. Ich weiß, dass ich in diesen Landen mit einem falschen Wort meine Auslöschung riskiere. Allein schon meine Reise hierher war ein Wagnis. Und bestimmt scheltet ihr mich nun einen Narren, der ich gewiss auch bin - und als den ich mich euch gegenüber ja schon offenbart habe, aber ich hatte gehofft, ihr würdet mir erlauben, euch und dieser Stadt in all der Dunkelheit unserer Zeit beizustehen." Seine Stimme war intensiv geworden. Beinahe schien er ihr von seinem größten Wunsch zu erzählen, so flehend war der Blick seiner sturmgrauen Augen. "Lasst mich zumindest den Sterblichen, die hier jemanden verloren haben, Trost spenden - und vielleicht kann ich euch meinen Nutzen auch noch anderweitig beweisen."
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I Tarocchi
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Re: [1087] Si vis amari, ama! [Gris, Aurore (SL)]

Beitrag von I Tarocchi »

Aurores Augen waren blau. Das war ein Detail, das manchmal verloren ging, doch gerade jetzt wurde mit ihnen ein Augenblick geschaffen, ein ein ewiger Moment von der Art, die einen durch die Jahre, Jahrzehnte und vielleicht Jahrhunderte begleiten könnte.
Blau wie ein Taghimmel, blau wie Meeresweite unter der Sonne, blau wie Hoffnung und das Märchen von der unmöglichen, blauen Rose.

“Ich gestatte dir, in meiner Domäne zu verweilen”, sagte sie nach einer Weile. Kein Zaudern oder Zögern - sie war vom Blut der Könige und ihre Entscheidungen waren klar und fest.
“Du musst dich an ihre Gesetze halten, die Alten und Großen ebenso wie die kleinen. Mein Diener wird dir jene erläutern und wann immer du Fragen zu ihnen hast, kann er sie dir dazu auch beantworten. Ich will, dass einer von unserem Blut sicher und klar in diesen Gesetzen und in der Gesellschaft ist. Wir gehen ohne Makel durch die Nächte, ganz gleich, wie dunkel sie gefärbt werden.”

Dazu hob sie das Kinn in einer perfekten Pose der Herrschaft auf dem Thron. ‘Arroganz’ konnten neidische Spötter, billige Dreckwerfer, blasse Nachahmer am Rande zu dieser Art und Weise sagen. Doch in Wahrheit war es natürlich: Ein naturgegebener, ursprünglicher Anspruch, zu herrschen. Durch nichts sonst ließ sich jener Anspruch der Erstgeborenen, der Könige unter den Clans, ersetzen.

“An dich werden höhere Maßstäbe angelegt als an alle anderen”, stellte die Weiße Prinzessin fest. Es war kein Befehl, es war eine klare Benennung der Tatsachen, denn so war diese Welt nun einmal gemacht.
“Darum wirst du auch wie alle anderen Gäste meiner Domäne eine Aufgabe erfüllen, die allen zeigt, zu was du fähig bist. Andere werden mit den niederen Taten belegt, für die sie eben geschaffen sind. Jeder nach seiner Art, Fähigkeit, Natur.”

Ja, hier war sie, die gleißende Arroganz der Ventrue. Sie lag im winzigen Lächeln auf Aurores Lippen, in der Genugtuung ihres Blicks, wie er auf Gris ruhte, als sie ihm das Handzeichen gab, dass er sich erheben durfte. ‘Alles findet seinen Platz’, sagte dieser Blick. Und natürlich war der Platz jener vom Blut der Könige einer an der Spitze.

“Sage mir, wo du deinen Platz finden und wie du dich beweisen wirst, junger de Galard”, forderte sie ihn auf. Sie neigte den Kopf ein wenig, fast schon ein wenig kokett. Es war offensichtlich, dass diese Aufforderung selbst bereits eine Prüfung war: Würde er zu tief ansetzen, wäre es sicherlich unwürdig in ihren Augen. Doch wenn er zu hoch griffe, würde ihm dann gelingen, auch wahr zu machen, was er genau jetzt versprechen sollte?
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Gris de Galard
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Re: [1087] Si vis amari, ama! [Gris, Aurore (SL)]

Beitrag von Gris de Galard »

Ein Blau, in dem man sich verlieren konnte. Als er es betrachtete, kam Gris die Erinnerung an dieses unfassbare Blau des Himmels, das sich über den verschneiten Berggipfeln entfaltet hatte, die er hatte überqueren müssen. Völlig irreal, aber unfassbar schöm.

Ihre Entscheidung nahm er an, ließ ihre Bedingungen über sich ergießen. Seine hellen Augen blitzten. Zeigten, dass er sich jedes einzelne Wort einprägte, es sich ebenso zum Gesetz machte, wie dass ein Sohn der Nacht nicht in die Sonne gehen würden.
"Ich danke euch", erwiderte er und senkte den Kopf ergeben. "Ich werde jedes Gesetz achten und mir die Erläuterungen eures Dienstes zu dem Weg machen, den ich gehen werde. Sie sollen mein Leitstern in den Nächten sein. Durch mich wird kein Makel auf unser Geblüt kommen." Man konnte hören, dass er jedes Wort so meinte, wie er es sagte.

Auch ihre Benennung der anderen Tatsache bestätigte er mit einem tiefen Nicken. Gris war ebenso ein König wie sie und es schien ihm nicht verwunderlich zu sein, dass ein höherer Maßstab an ihn angelegt werden würde. Nur die Großen konnten große Erwartungen erfüllen.
Dann erhob er sich auf ihren Wink hin. Stand nun vor seiner Herrin. Noch immer war klar, dass sie über ihm stand. Aber das war schlicht ein Naturgesetz. Und so brauchte der Sohn der Nacht nicht zu stehen wie ein kratzbuckelnder Diener, um zu beweisen, dass sie am Ende noch immer über seine gesamte Existenz bestimmen konnte.

Doch als Aurore ihre Forderung an ihn stellte, legte der französische Adelige seinen Kopf zur Seite. Offensichtlich dachte er scharf nach, wählte jedes seiner folgenden Worte mit Bedacht. "Ich denke, ihr ahnt, dass ich kein großer Heerführer bin.", begann er langsam. "Auch bin ich sicher nicht in den großen Bibliotheken am richtigen Platz." Er schaffte es, betrübt und zugleich ein wenig tiefstapelnd zugleich dreinzusehen.
"Ich biete euch also nicht meine Kampfeskraft oder Gelehrsamkeit an, da ihr gewiss viele bessere Kinder der Nacht hierfür finden würdet." Nun lag der Blick seiner Sturmaugen fest auf der weißen Prinzessin. "Ich biete euch an, dass ich Bünde in eurem Namen schmiede. Nicht die Bünde, die man mit Urkunden und Siegeln, Furcht und Vorteilen besiegelt. Viel eher, die, die sich aus Nähe und Freundschaft ergeben. Seidene Fäden, statt Fesseln. Unsichtbar, aber stark."
Ein wenig selbstironisch fügte Gris hinzu: "Ich biete mich also nicht als euer Krieger, sondern als eure Spinne an."
"Darum, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben." - Paulus von Tarsus, Römerbrief 5,12
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