[1087] Die Alte und das Meer [La Strega, Fiamma]

[La Strega]

Es war eine solcher kalten Nächte, in denen der Nordwind von den Alpen den eisigen Wind auf das Mittelmeer hinaus blies. Der Mond war sichelförmig am Himmel zu sehen und die Sterne standen klar und deutlich am Himmel. An der Stelle, an der die alte Vettel auf der Kaimauer saß und die alten verkrümmten Beine hinunterbaumeln ließ war kein Mensch weit und breit zu sehen.

Sie summte ein Lied und kraulte eine schwarz-weiß gefleckten Katze, die sich auf ihrem Schoß zusammen gerollt hatte und leise schnurrte. Eine zweite pech-schwarze Katze hatte es sich auf ihrem Buckel gemütlich gemacht und döste. Sie war über und über in Lumpen gehüllt und nur ihr hässliches Gesicht war zu sehen, dass auf das Meer hinausgerichtet war. Würde sie sich nicht bewegen, könnte man sie für einen Haufen alter Lumpen halten, die dort auf der Mauer lagen.

Weit entfernt, ein paar Straßen weiter, grölten einige betrunkene Matrosen ein zotiges Lied.

Im Hafen lagen ruhig die Schiffe dunkel und wogend zu dem leichten Wellengang. Auf einigen waren Wachfeuer entzündet worden, andere zeichneten sich dunkel gegen den sternenhellen Himmel ab. Doch der Blick La Stregas war weiter in die Ferne gerichtet.

Leise mit zittriger Stimme begann sie zu singen.

"Seht Ihr die Alte dort oben? Gebeugt wartet sie schon so lang,
als lausche sie still und andächtig einem unendlich fernen Gesang.
Und durch Sturm, Wind und Gezeiten blickt ihre Seele zurück,
auf längst vergangene Tage, auf lange verlorenes Glück."

Danach verfiel sie wieder in eine Summen.

[Fiamma]

Wie eine Motte dem Licht folgte Fiamma dem Gesang hin bis fast an die Kaimauer. Ob es bewusst oder unbewusst geschah, konnte sie im Nachhinein nicht mehr sagen und doch saß sie da. Wie eine Katze kurz vor dem Sprung hockte Fiamma in einiger Entfernung zu dem vermeintlichen Haufen Lumpen auf den im Hafen zurückgelassenen Kisten und beobachtete das Wesen unter den Stoffbergen, und beobachtete, wie die Katzen keine Furcht hatten und wurde von Wehmut geplagt. Kurz huschten Fragmente aus der Vergangenheit an ihrem inneren Augen vorbei, die Fiamma schnell wegblinzelte und ihnen keine weitere Beachtung schenkte. Normalerweise hätte sie sich genau so heimlich wieder von dannen gemacht, wie sie gekommen war, aber der Gesang der alten Frau berührte Fiamma irgendwie und ließ sie neugierig werden. Leise räusperte sie sich.

[La Strega]

Als sich Fiamma räusperte schreckten beide Katzen auf, die sich scheinbar sehr entspannt hatten, und fauchten mit einem Buckel und aufgebauschtem Schwanz. Dann nahmen sie reißaus. Die alte Frau schien darüber nicht verärgert und blickte den Katzen nicht hinterher sondern fixierte Fiamma.

"Sei gegrüßt, mein Kind! Wie kann Dir die alte Strega helfen?"

Sie wirkte freundlich und in ihren Augen blitzte eine Menge Neugier.

[Fiamma]

Neugierig blickte Fiamma den Katzen hinterher, die offensichtlich vor ihr flüchteten und in alle Richtungen stoben. Sie lächelte leicht, aber ihre Gedanken blieben unausgesprochen. Dann blickte sie nicht minder neugierig zu der alten Frau und legte prüfend ihren Kopf auf die Seite.

"Die Nacht zum Gruße, liebe Strega! Mein Name ist Fiamma." Und daraufhin entspannte sich Fiammas Körper, sie ließ sich auf der Kiste nieder und die Beine hinunterbaumeln.

"Bitte entschuldige, dass ich Euch gestört habe." Ihr Lächeln verzog sich zu einer schuldbewussten Miene.

"Ich habe Deinen Gesang gehört und es hat mir gefallen. Es erinnert mich an längst vergangene Tage. Darf ich Dir ein wenig Gesellschaft leisten?"

[La Strega]

Die Alte musterte Fiamma eine Weile und tätschelte dann die Kaimauer auf der sie saß als eine wortlose Einladung, sich neben sie zu setzen.

"Aber Du störst doch nicht, mein Kind. Du darfst mir gerne Gesellschaft leisten und mir von den längst vergangenen Tagen erzählen...ich höre gerne alte Geschichten."

Sie sah sich kurz um, als schien sie die unmittelbare Umgebung nach unbemerkten Ohren abzusuchen.

"Warst Du nicht auf dem letzten Hoftag zugegen? Ich meine diesen Rotschopf hätte ich dort gesehen...oder irre ich mich?"

[Fiamma]

Der Blick der Alten blieb Fiamma nicht verborgen und auch sie sah sich einmal kurz um, während sie der Einladung folgte. Dann nickte Fiamma, "Ja, ich war dort." und endete mit einem tiefen Seufzen. Noch immer waren ihr solche Veranstaltungen zu wider, doch auch Fiamma hatte mittlerweile verstanden, dass es schlau ist, sich dort blicken zu lassen. Auch wenn sie ihre Worte nicht laut ausgesprochen hatte, schob sie noch ein schiefes Grinsen hinterher. "Ich hoffe, der nächste Hof lässt noch eine Weile auf sich warten. Ich mag solche Veranstaltungen nicht." Und daraufhin steckte Fiamma die Nase in den Wind, der salzig aufs Land traf, und atmete bewusst ein. "Das hier draußen, das ist eher was ich mag!" La Strega konnte ein Lächeln in ihren Worten hören. Eine Ewigkeit später wandte Fiamma sich wieder an die alte Frau. "Was war das für ein Lied, das Du gesungen hast? Ich kenne es nicht, aber es hat mir gefallen." Und einen Moment später fügte sie etwas leiser hinzu "Meine Nonna hat früher für mich gesungen."

[La Strega]

Die alte Frau sah wieder auf das dunkle Meer.

"Es ist eine alte Waise über eine Frau, deren große Liebe zur See gefahren war und nie zurück kehrte. Und so machte sie sich Tag für Tag auf, um an den Klippen zu stehen und auf ihn zu warten..."

Sie blickte die junge Frau an.

"Wenn du willst, singe ich es Dir vor, mein Kind. Auch wenn ich gestehen muss, dass ich nicht die beste Gesangsstimme habe."

[Seresa]

Zusammenfassung:

La Strega und Fiamma trafen aufeinander und unterhielten sich kurz miteinander, bevor sich ihre Wege trennten.