[1087] Wenn im Süden... [Gabriel, Noureddine (SL)]

Wenn die Sonne hinter das Appenningebirge sinkt, kriechen die Verdammten aus ihren Löchern. Dies sind ihre Geschichten.
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Gabriel Ducas
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[1087] Wenn im Süden... [Gabriel, Noureddine (SL)]

Beitrag von Gabriel Ducas »

Das Schiff verblieb im Schatten der düsteren Silhouetten der umliegenden Hügel, als es sich entschied, die pulsierende Lebensader der Stadt, den Hafen von Catania, anzusteuern. Anstelle der eiligen Passage durch die belebte Meerenge bei Messina, wählte der Kapitän eine Zwischenstation in der Heimatstadt Gabriels. Während das Beiboot die notwendigen Genehmigungen einholte, legte sich eine geheimnisvolle Stille über die nächtlichen Gewässer vor Catania. Der süße Duft von Orangenblüten und das ferne Rauschen des Meeres vermischten sich in der sanften Brise. Die Straßen von Catania erwachten zum Leben, als sich die Türen der Tavernen öffneten und die Bewohner den Klang von Musik und Gelächter in der Luft genossen.

Gabriel durchstreifte die Gassen mit beinahe schlafwandlerischer Sicherheit. Sein Weg führte ihn vorbei an den Zeugnissen vergangener Zivilisationen. Das antike Amphitheater, von den Jahrhunderten gezeichnet, ragte majestätisch empor. In den Nekropolen ruhten die Geheimnisse vergangener Epochen, während alte Wehranlagen stumme Wächter über die Stadt zu sein schienen. Doch inmitten dieses historischen Erbes ragte ein Turm in die Höhe, ein sichtbares Zeichen für die Veränderungen, die die Zeit mit sich brachte.

Unter dem Arm trug der Gelehrte eine kleine Holzkiste, die mit Stroh und Tuch ausgelegt war, um ihren Inhalt zu schützen. Geschenke waren wichtig, und dieses könnte Gefallen finden. Es war nicht nur ein Zeugnis der Handwerkskunst, sondern auch des Geistes – ein kleines Zeichen, dass der Schüler seiner Lehrerin aufmerksam zugehört hatte. Er mochte nicht immer alles verstehen, aber welcher Neugeborene konnte schon von sich behaupten, diese verschlungenen Worte zu verstehen?

Mit jedem Schritt schien er die Essenz der Stadt zu atmen, eingehüllt in das Erbe ihrer Geschichte. Als er sich den Türmen und Mauern näherte, konnte er das leise Murmeln der Stadt hören, ein Echo vergangener Geschichten und verborgener Intrigen. Unter dem Schutz der Dunkelheit trug Gabriel nicht nur ein physisches Geschenk für seine Mentorin, sondern auch die Energie seiner eigenen Wandlung und die Schatten der Ereignisse in Mahdia. Die Nacht über Catania verbarg nicht nur die Strukturen aus Stein, sondern auch die Geheimnisse, die in den Herzen der Vampire und Menschen dieser Stadt ruhten. Er hatte sich gemeldet und folgte den Anweisungen, würde warten, seine Schritte dahinsetzen, wo es gefordert war. Sobald man Gabriel einließ, würde er eintreten, auf sein Knie hinabsinken, das Kästchen abstellen und öffnen und den Kopf senken. Ruhig auf ihre Reaktion wartend. Der Brujah vermisste die Gespräche mit ihr, doch in Genua wuchs der "gewiesene Ast". Dort sollte er Heimat finden. Was mochte sie schon alles erfahren haben?
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I Tarocchi
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Re: [1087] Wenn im Süden... [Gabriel, Noureddine (SL)]

Beitrag von I Tarocchi »

Das Gesicht der Stadt ist uralt und neu zugleich. Die Araber haben ihre Spuren hinterlassen und nun sind es die Normannen und Roger I., die Sizilien Stadt für Stadt mit brutaler Gewalt befreien.
Catania selbst wirkt ewigjung in diesen Nächten. Der Bau der Kathedrale ist etwas, das an Gabriel vorüberzog und das doch ein Zeichen der hohen Handwerkskunst der Stadt ist: ein strahlend heller Bau, dessen Pracht die Erinnerungen an die Araber vertreiben soll.

Gabriel wird im Hause seiner Lehrmeisterin willkommen geheißen. Und wie so oft hat dieses Haus seinen eigenen Wandel durchgemacht. Die Eingangshalle, in welcher er sein Schuhwerk ablegen und sich erfrischen kann, wirkt noch normal genug. Doch als er tiefer hinein geführt wird bis zum Fuß jenes eleganten Turmes, den die Hausherrin für sich beansprucht, erkennt er zahllose Veränderungen. Andere Statuen wurden aufgestellt, in Regalen reihen sich obskure Materialien, Schuppen, Leder, Pelze und Felle aneinander. Es gibt eine Nische, in der es riecht und die danach aussieht als würde hier nichts getan außer Horn zu raspeln und zu feilen, so dass zahlreiche Schalen und Gefäße mit Hornstaub und -flocken gefüllt wurden. Die Feile und einige gedrehte Hörner und Hufe von offenkundig verschiedenen Tieren liegen noch bereit daneben. Wandteppiche und bemalten Leinwände an den Wänden auf Gabriels Weg zeigen allerlei Bilder verschiedenster Tiere, einige vertraut, einige so fremd und merkwürdig, dass sie auch ebensogut aus Märchen und Fabeln stammen können.

Da ist ein Metallkonstrukt in einem der runden Räume, in dessen Seiten feine Löcher und Muster getrieben wurden. Es wird offenbar von innen erhellt, so dass Licht von innen nach außen auf die kahlen oder mit hellem Segeltuch verhangenen Wände fällt. Die Muster setzen sich so in Licht und Punkten auf den Wänden und dem Tuch fort und jede Drehung des merkwürdigen Konstrukts scheint auf die Weise den Raum selbst zu verändern.

Gabriel findet seine Lehrmeisterin in dieser Nacht in der untersten Kammer ihres Turmes, in welcher allerlei kleine Kochstellen mit sorgfältig abgeschirmten Flammen darunter verscheidene kleine Kessel und Tiegel am Köcheln halten. Ein beißender Gestank hängt in der Luft, welchen Noureddine jedoch nicht einmal zu bemerken scheint. Sie sieht wie gebannt auf eine breite Schale aus Stein, die wiederum auf einem steinernen Sockel steht. Etwas wie Erde und Salze sind dort in spiralförmigen Mustern in der Schale gestreut, doch das wahrhaftig faszinierende ist der Mittelpunkt der Schale, in welcher eine Art rostbraunes, kristallines Gebilde ruht. Gabriel hat sicherlich bereits Kristalle gesehen, doch genau diese Sorte kann er nicht bestimmen. Aus dieser Mitte der Steinschale kriechen dampfende, weiße Fäden hervor - Frost?!

Noureddine blickt noch eine Weile länger auf das bizarre Schauspiel in der Schale und wendet sich dann doch zu ihrem Schüler um. Ihre dunkle Haut schimmert im Licht der abgeschirmten Flammen und sie trägt über ihren bunten, weiten Gewändern eine lederne Schürze. Leise klirrt eine ganze Reihe metallener Armreife an ihrem linken Arm, als sie eine einladende Geste zu Gabriel macht und ihn zu sich befiehlt anstatt dort knien zu bleiben, wo er kniet.

“Mahdia”, sagt sie. “Wurde ein Raubvogel in Genua geboren? Ist er ein Kuckucks-Kind?” Die Ahnin schien nicht wütend zu sein, doch Noureddines Zorn war von einer Art, die man nicht schnell erkannte: Verborgen hinter Seide, Farben und Gelehrtheit und dann so plötzlich, gleißend und atemberaubend wie die Farbenfeuer, die sie eben genau hier, in diesem Raum, erschaffen konnte.
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Gabriel Ducas
Brujah
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Re: [1087] Wenn im Süden... [Gabriel, Noureddine (SL)]

Beitrag von Gabriel Ducas »

Sie weiß es. War er darauf vorbereitet? Demütig erhob er sich, griff nach dem Kästchen, welches er mitgebracht hatte und trat näher heran. Den beißenden Gestank hatte er wohl wahrgenommen aber vorerst schienen andere Dinge wichtiger. Ehrfürchtig senkte der junge Brujah den Kopf vor Noureddine, als ihre Frage die Stille des Raumes durchbrach. Seine Augen, von den dunklen Schatten der vergangenen Tage gezeichnet, huschten suchend über die Ältere. „Mu'allima,“ begann er mit bedächtiger Stimme, „…die Ereignisse in Mahdia haben mich in einen Strudel widersprüchlicher Gefühle gezogen. Als ich die Straßen dieser Stadt betrat, erfasste mich ein Sturm von Emotionen – vom Rausch der Schlacht, Unbehagen bis hin zu Empörung über die Plünderung, deren teil ich war.“ gab er unumwunden zu. Da lag kein Stolz in der Stimme. Vielmehr schien er wirklich verwirrt über das erlebte und seine eigenen Taten, etwas hatte ihn aufgewühlt.

Gabriels Hände ruhten auf der kleinen Holzkiste, die er als Gabe mitgebracht hatte. Er öffnete sie mit vorsichtigen Fingern, während seine Augen auf das darin liegende Geschenk fielen – ein prächtig gefertigtes Glaskunstwerk, das die Geschicklichkeit und den Wert seines Handwerks symbolisierte. „Mahdia war Zeuge meines inneren Konflikts, zwischen meiner Pflicht als Vasall und meinem tiefen Verlangen. Ich bin dem Weg des Händlers gefolgt, doch nicht, um zu verhandeln, sondern um meinen Eiden nachzukommen und Lehensherrin und Seneschall zu unterstützen.“ Ein Hauch von Entschlossenheit blitzte in seinen Augen auf, als er fortfuhr: „Ich stehe vor der Herausforderung, die Unvereinbarkeiten zwischen meinen Idealen und den Forderungen meiner Domäne zu überbrücken.“ Gabriel war offenbar gewillt sich dieser Herausforderung zu stellen, doch senkte er nun sein Haupt erneut und schluckte instinktiv. „Doch soll dies keine Entschuldigung sein.“ nein, er suchte nicht nach Entschuldigen. Es war eine schlichte Aufzählung von Fakten und er versuchte nicht zu verbergen, dass er sich sicher war, dass er einen Fehler gemacht hatte. „Weder Kuckuckskind, noch Raubvogel will ich sein. Doch scheinbar sprechen meine Taten eine andere Sprache.“ endete er schuldbewusst. Schon kurz nach Abschluss der Plünderung und die gesamte Fahrt hatte er darüber nachgedacht, wie sie wohl gehandelt hätte.
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I Tarocchi
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Re: [1087] Wenn im Süden... [Gabriel, Noureddine (SL)]

Beitrag von I Tarocchi »

Die Ahnin legte auf einem Steintisch an der Seite ab, was sie in den Händen gehalten hatte. Der Frost auf dem Steintisch hatte bereits in der Wärme der Nacht zu tauen begonnen.

Leise raschelten die Stoffe ihrer weiten Gewänder gegen das schwerere Leder ihrer Schürze, als sie zu ihm heran trat, um seine Handwerkskunst zu begutachten.

“Für viele wird es wertlos erscheinen, was du in den Händen hältst”, sagte sie ihm. Es war nicht klar, ob sie seinen Stand in Genua meinte, seine erbeuteten Erfolge aus Mahdia, das Glas in seinen Händen oder vielleicht auch etwas ganz anderes.
“Doch sage mir, was hast du auf dem Weg bis hierhin gelernt?”

Sie nahm das Glas aus seinen Händen und hielt es ins Licht. Noch während sie wohl seine Antwort erwartete, ging sie zu einem anderen Tisch an der Seite herüber und zog einen schweren Folianten aus einer mit Elfenbein verzierten Schatulle.

“Denn das Gelernte ist, was dir am Ende bleibt”, sagte sie und lud ihn mit einer Geste neben sich an den Tisch ein, um vorzuführen, was er geschaffen hatte.
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Gabriel Ducas
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Re: [1087] Wenn im Süden... [Gabriel, Noureddine (SL)]

Beitrag von Gabriel Ducas »

Ihre Bewegungen wirkten ruhig und bedächtig, doch Gabriel wusste, was da unter der Oberfläche schlummerte. Wie auch bei ihm konnte dies jederzeit umschlagen. So schaute er der Ahnin hinterher als diese mit seinem Geschenk zu einem anderen Tisch ging. Wird sie sehen das du dich auf ihre Lehren besonnen hast?“[/b] doch es blieb keine Zeit diesen Gedanken weiterzuverfolgen und ihr einfach nur zuzusehen. Sie wollte Antworten. Doch welche? Es gab so viele?

„Ich habe gelernt, dass ich zwar meinen Schwüren folgen kann, doch das dies nicht bedeutet das ich meinen Idealen folge. Meine Taten in Mahdia haben Leid verursacht und ich werde mich nicht hinter meinen Eiden verstecken können.“ etwas resigniert sah Gabriel zu Boden. „Es wird Konsequenzen haben und diese werden mich treffen.“ mit diesen Worten trat er heran und entnahm eine Schriftrolle aus der Kiste und breitete sie vor ihr aus. Darauf waren unförmige Kritzeleien zu erkennen, Dinge, die keinen Sinn ergaben und eher aussahen als hätte ein, des Schreibens unkundiger, versucht etwas zu imitieren, was er mal gesehen hatte. Demütig nickte er der Älteren zu und nahm so dann das Glaskunstwerk, zeigte auf zwei Punkte am Rand des Schriftstückes und legte sein Handwerk darauf. Nach ein paar winzigen Korrekturen ließ er es los und trat einen Schritt zurück. „Perspektive. Wie ihr es mich gelehrt habt.“ und in diesem Moment öffnete er die Augen einen Moment weiter als ihn die Erkenntnis traf, dass auch die Ereignisse in Mahdia verschiedene Perspektiven hatten.
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I Tarocchi
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Re: [1087] Wenn im Süden... [Gabriel, Noureddine (SL)]

Beitrag von I Tarocchi »

In einer sorgfältig langsamen Geste hielt Noureddine den weiten, bunten Ärmel ihrer Gewänder zurück und zog ein weiteres der Lichter heran, die ihre Arbeitsfläche erhellten. Das Licht eines kleinen Dochtes in Öl brach sich über einem Stück Kristallglas darüber und wurde durch dünn geschabtes Pergament abgeschirmt, welches auf beinernen Rippen aufgespannt worden war. Die Konstruktion schuf ein gleichmäßiges und erstaunlich helles Licht für Gabriels Werk.
Durch die Linse hindurch betrachtete sie seine Schrift, doch es waren seine Worte, die dafür sorgten, dass sich ihre Mundwinkel ein wenig hoben.

“Einst war die ligurische Küste ein Schatz des alten, römischen Imperiums. Eine alte Straße zog sich dort entlang, wo nun Genua liegt, und verband das prachtvolle Rom, das Zentrum der Welt dieses Imperiums, mit ferneren Ländern”, sagte sie.

“Doch dann kamen die Schiffe aus dem Süden. Männer mit krummen Säbeln und fremdem Glauben. Sie plünderten die Küste ohne Gnade und ohne Unterlass. Genua fiel zurück, kaum mehr als ein Fischerdorf mit einem brackigen Hafen und ein paar blassen Erinnerungen. Schriften waren verbrannt, Menschen verschleppt und versklavt, alte Prachtbauten geschändet, die Mächtigen mit den Ohnmächtigen abgeschlachtet, versklavt oder vertrieben auf das Land umher.”

Sie betrachtete Gabriels Schrift von mehreren Winkeln her, nahm das Glas fort und setzte es wieder auf.

“Es war ein Moloch und auf den Thron jenes Molochs schwang sich Godeoc, ein junger Ahn. Nicht mehr lang und dann würde sich Aurore auf diesen Löwenthron schwingen und in einhundert Jahren nur aus dem geplünderten, gebrochenen Ort wieder eine Stadt in Blüte machen.”

Mit leichter Hand legte sie ein anderes Schriftstück unter das Glas und beobachtete die Verzerrungen über einem Muster, das darauf gezeichnet war und das nun jede Symmetrie zu verlieren schien.

“Der Vogel, der fliegt, kann alle Länder sehen, wenn er sich nur hoch genug hinaus wagt. Er könnte so hoch fliegen wie Ikarus es einst gewagt hat, bevor er stürzte. Und dort oben könnte er vielleicht alle Länder der Welt auf einmal sehen. Doch wenn er landen muss - oder wenn er stürzt - dann kann er nur in einem einzigen Land sein und kann nur an einem einzigen Flecken seine Füße setzen.”
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Gabriel Ducas
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Re: [1087] Wenn im Süden... [Gabriel, Noureddine (SL)]

Beitrag von Gabriel Ducas »

Gabriel hob den Kopf, seine Augen suchten Noureddine, und er sprach mit einem Hauch von Unsicherheit in seiner Stimme. „Mu'allima, in Mahdia habe ich den Sturm gespürt, die Wirren meiner inneren Konflikte. Eure Geschichte über Genua und den fliegenden Vogel hat mir eine neue Sichtweise eröffnet. Doch in dieser Dunkelheit frage ich mich, wie kann ich meine Verantwortung in diesem einen Land tragen, nachdem ich aus großer Höhe gestürzt bin?“ Sein Blick senkte sich, während er überlegte, wie er seine nächsten Worte formen sollte.

Plötzlich fand er den Mut, seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen, und er hob den Blick wieder zu Noureddine. „Wie kann ich meine Landung gestalten, um nicht in Ignoranz und Selbstgefälligkeit zu enden? Eure Weisheit leuchtet wie ein Licht, aber wie kann ich dieses nutzen, um durch die Nacht zu navigieren? Es gibt keine Weisheit in Genua. Nur Hass und Gehässigkeit. Niemand der lehrt. Keine Ordnung. Kein Recht.“ Die Unsicherheit in Gabriels Augen spiegelte seine Suche nach Orientierung wider. Gabriels Hände ruhten auf der kleinen Holzkiste, die er mitgebracht hatte. Jedoch konnte er nicht verbergen, wie seine Finger leicht zitterten „Akzeptiere ich die Konsequenzen meiner Taten, aber wie lerne ich aus ihnen, Mu'allima?“ Sein Blick haftete auf der Schriftrolle, als er versuchte, seine eigenen unförmigen Kritzeleien, nun in einen klaren Ausdruck seiner Gedanken zu verwandeln. Woher nehme ich die Linse um meine eigenen Gedanken von dieser Unform, hin zu einer klaren Schrift zu verwandeln? Während er darüber nachdachte, spiegelten sich verschiedene Emotionen auf dem Gesicht des Schülers wider – Unsicherheit, Respekt, aber auch Entschlossenheit. Seine Mimik zeugte von einem inneren Kampf, während der junge Brujah versuchte, die Lehren der Älteren zu verstehen und zu verinnerlichen und gleichzeitig mit den Herausforderungen seiner neuen Rolle als Vasall und Herold in Genua umzugehen.
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I Tarocchi
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Re: [1087] Wenn im Süden... [Gabriel, Noureddine (SL)]

Beitrag von I Tarocchi »

"Du hattest diese Höhe niemals, altalamidh", sagte Noureddine. "Du glaubtest es nur, denn du hast deine Träume für die Wirklichkeit gehalten." Der Blick ihrer Augen war im Licht ihrer Werkstatt heller, beinahe golden. Mitgefühl zeigte sich darin, denn wer kannte die kalten Höhen und in festen Bahnen eingefahrenen, staubigen Niederrungen von Gelehrtheit, Wissenschaft, Forschung und Zeit besser als sie? Doch obwohl dieses Mitgefühl offenkundig war, beschönigte sie ihre Worte nicht.
"Deine Träume sind wunderbar und reiner als Kristalle. In Perfektion geschliffene Juwelen auf dem Mantel der Nacht."

Sie hielt noch immer seine Linse in den Händen, doch es war wonöglich dieses Mitleid, das sie dazu veranlasste, diese beiseite zu legen und eine dagegen simpel scheinende Kugel aus Glas oder Bergkristall in die Hand zu nehmen. Sie hob sie hoch, schloss ihre Hand darum und drückte zu. Es knirschte. Glitzernde, feine Splitter rieselten aus ihrer Hand auf dem Boden, Scherben und Bruchstücke blieben in ihrer Hand und sie breitete sie vor ihm auf einem der Werktische aus.
"Die Wirklichkeit ist anders als die Juwelen, die sie sein könnte, wenn alle Teile sich nur perfekt fügen würden. Dies sind die Splitter, die deine Seele bluten lassen." Sie machte eine Geste über die Ruinen der Glaskugel hinweg.

"Soll das heißen, dass dein Traum nicht sein darf wie ein perfektes Juwel? Oder muss es im Gegenteil der Wirklichkeit zum Trotz heißen, dass dein Traum unbedingt sein muss wie eines? Ich habe dich wegen deines Traumes zu meinem Schüler gemacht. Diese Nacht hat uns beide lange erwartet."
Gabriel hatte sie schon gesehen, wenn sie ihren gesamten Fokus einem ihrer Experimente gewidmet hatte oder wenn sie in die Sterne blickte, um daraus irgendwie Reihen von Zahlen und komplexe Gebilde aus Linien und Kurven in Kreide oder Tinte zu bannen. Jetzt war er es, dem diese ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Lehrerin galt. Unter dem Druck eines Verstandes wie ein Skalpell, was würde da von ihm standhalten?
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Re: [1087] Wenn im Süden... [Gabriel, Noureddine (SL)]

Beitrag von Gabriel Ducas »

War es das? Hatte er seine Träume für die Wirklichkeit gehalten? Sie kannte ihn zu gut. Ein Volltreffer der Gabriels Blick betroffen zu Boden lenkte. Erst als sie die simpel scheinende Kugel anhob und in ihrer Hand zerdrückte hob er den Blick, nur um mit diesem den rieselnden Splittern zu folgen. Einen Moment sah er nachdenklich auf die Überreste, die nun auf dem Tisch lagen.

„Ich sollte nach Genua. Nach Feinden unseres Blutes sehen. Beobachten. Eine Schuld begleichen.“ er machte eine kurze Pause, verblieb mit dem Blick jedoch nachdenklich auf den Splittern. „Ich sollte ihn unterstützen. Ich habe ihm alles berichtet. Auch er wollte das ich ein Amt ergreife. Es war auch sein Aufruf. Wie soll ich die Schuld tilgen, wenn ich die Unterstützung untersage? Würde ich ihn dann nicht im Stich lassen? Mein Amt aufs Spiel setzen?“ Gabriel wirkte ratlos. Wenn sie da tiefere Bedeutungen in ihre Worte gelegt hatte, so konnte er sie nicht entdecken. Was wollten die Alten von ihm?

„Ich höre die Worte des Schattens. Nur sehe ich keine Anzeichen. Verachtet Aurore uns? Vermutlich. Doch Er verachtet meinen Weg. Er hat Sardinien und dessen Prinz auf Spiel gesetzt.“ nun sah er zu der Älteren mit wachsender Verzweiflung in seinem Blick. „Mu'allima, Du hast gesagt, ich solle mich melden sobald Josef mit mir über Kenza gesprochen hat. Andere sagten es gäbe Steine, die man besser nicht umdreht.“ mit dem Finger deutete er auf die Splitter. „Sie haben mit mir gesprochen. Sowohl der Schwarze Seneschall als auch Genuas Vasallenprinz in Nordsardinien sprachen von einem Gemetzel. Doch Josef sagt, er hätte Kenza nicht getötet. Es war Pisas Konsul. Josef habe nur eines von Kenzas Kindern vernichtet.“ etwas ratlos hob er die Schultern und sah zu ihr. „Geschah dies durch Aurore? Wäre es so weit gekommen, hätte der Schatten nicht eines anderen Domäne und Amt als sein Pfand gesetzt?“ der junge Brujah schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Doch auch Tarek, Fjarne und Sölve starben nicht im Kampf. Sie wurden ausgeliefert. Mutmaßlich um die Position seiner Agenten zu stärken. Und nun?“ erneut zuckte er mit den Schultern. „Nun ziehe ich in Kriege, als Vasall Aurores um auch ihn zu unterstützen. Verrichte mein Amt und meine Pflichten und sehe zu wie es nie genug ist. Es zerreißt mich Mu'allima.“
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Re: [1087] Wenn im Süden... [Gabriel, Noureddine (SL)]

Beitrag von I Tarocchi »

Noureddine entließ den glitzernden Staub aus Kristallglas aus ihrer Hand. Was für eine Kraft es kosten musste, um massives Glas oder auch nur Kristall mit einer Hand zu zerdrücken, ließ sich nicht erahnen. Es hatte ausgesehen wie eine Leichtigkeit, beherrschte Eleganz in einer einzelnen, pointierten Geste.

“Ich bin dir mentor. mentis ist mein Werkstoff, mein Handwerkszeug, sogar die Hitze meiner Esse. Jeder deiner Fehler ist dir mentor. Vielleicht sind sie besser darin als ich.” Ihr Gesicht blieb unbewegt bei diesen Worten.

“Du wirst sie machen. Du musst sie umarmen und willkommen heißen wie alte Bekannte. Du musst sie in das Haus deines Geistes einladen und wie Gäste ehren und sie kennen lernen wie du deinen Bruder und deine Schwester kennen lernst. Und so lernst du dich selbst kennen und wirst nicht wiederholen, was dir fehlging.”
Es klang wie ein leiser Singsang, eine Rezitation aus der Vergangenheit. Vielleicht sagte sie diese Dinge nicht zum ersten Mal.
“Du musst dich entscheiden und du musst die Folgen deiner Taten und deiner Fehler tragen. Du musst durch das dunkle Tal deiner Zweifel gehen.”

“Sage mir, mein Schüler, weshalb ist die Anerkennung des Lydiadas für dich von Bedeutung? Genügt nicht, dass du eine Schuld abträgst und zugleich dabei gewinnst? Weshalb hat die Anerkennung der Aurore einen Wert für dich, der so hoch ist, dass du darüber dein Herz zu opfern bereit bist? Bist du nicht an einer Stelle angelangt, in der du beginnen kannst, zu wurzeln und zu wirken? Hast du nicht überwunden, woran andere gescheitert sind? Hast du nicht überdauert, wo andere bereits gefallen sind? Bist du nicht mit Fleisch und Knochen und Geist beschenkt, die zeitlos sein können? Bist du nicht darüber hinaus mit dem leuchtenden Traum deines Blutes gesegnet, das dir helfen wird, selbst die längste Zeit zu überdauern als wäre es nur ein Wimpernschlag?”
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