[1088] Jägerinnen [Agnellina, Angelique]

[Dezember '23]
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Angelique
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[1088] Jägerinnen [Agnellina, Angelique]

Beitrag von Angelique »

Genua war gewachsen. Es breitete sich aus wie ein gieriges Geflecht auf den schroffen, steilen Hängen des bergigen Umlands. Bald würde es auch die nahen Ortschaften erreichen und verschlingen und genau der Moloch werden, den die Vampire sich ersehnten.
Jetzt schon war der prosperierende Hafen eine Masse von wie Ameisen wuselnder Menschen. Selbst in der Nacht.

Die kleinste der Jäger fühlte sich immer wohler mit jedem neuen Jahr des Wohlstands und des fließenden Wechsels aus immer mehr Reisenden.
Sie jagte die Jäger und sie wusste, dass die schlimmsten Jäger sie für die Art Beute hielten, mit der man machen konnte, was man wollte. Und wenn die Beute kaputt dabei ging, konnte man sie einfach ins Hafenbecken entsorgen.
Das kehrte sich aber um, wenn die kleinste der Jäger sich als hilfloses Straßenkind tarnte.

Sie war nun Autarkis und liebte es, obwohl sie es zuerst gefürchtet hatte. Die kleinste der Jäger hielt sich akribisch an die Regeln der Monster.
Sie lockte ihre Beute fort, aber nicht weit. Die karstigen Felsen, wo ihr Turm stand, waren formal außerhalb der Stadt und ihrer Domänen.
Ein kleines, übersehenes Eiland im Meer der überschneidenden Jagdgebiete. Die Gier und die Unachtsamkeit machten es der kleinsten der Jäger leicht. Naive Worte, sorgloses Spielen und ein pechschwarzes Schaf aus der grauen Herde pirschte sich heran, um selbst Beute zu sein.

Anders als früher nahm sie sich noch mehr Zeit zu beobachten, abzuwägen und dann zu richten. Zu entscheiden, ob eine schwächende Mahnung ausreichte oder am Ende ein blutleerer Körper, aufgeschnitten von Leiste bis Brustkorb der See übergeben würde.

Was auch immer sie entschieden hatte, nun war ihr Durst gestillt und sie gestattete dem unschuldigen Teil ihres zerrissenen Selbst ein wenig Zeit zum Spielen und Kind zu sein.

Und so hüpfte die kleine, süße Angelique leise singend von Stein zu Stein in einem komplizierten Muster zurück zu den sauber gelegten neuen Kopfsteinen des Alten Hafens.
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Agnellina
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Re: [1088] Jägerinnen [Agnellina, Angelique]

Beitrag von Agnellina »

Im Umland der Stadt, geschützt vom Wald und durch das freundliche Meeresklima, waren die ersten Frühblüher dabei, mit ihren Farbtupfern die trüben Erinnerungen an den Winter zu vertreiben. Einige dieser kleinen Farbtupfer hatte Agnellina gepflückt und mit in die Stadt genommen. Es waren noch zwei, drei Wochen hin bis zur Auferstehung des Herrn, doch Erinnerungen waren in ihr bereits wieder auferstanden, bei denen sie das Gefühl hatte, ihnen Raum geben zu müssen. Durchdacht war die Sache wieder und wieder, doch nicht vergessen und nun, ungefähr ein Jahr danach, war es ihr ein Bedürfnis diese Erinnerungen mit den Blumen zum Hafen zur einst verabredeten Stelle zu tragen.

Den Menschen, die in dieser Stunde unterwegs waren, wich sie aus. Das spielende Kind passierte sie, machte einen Bogen herum und wunderte sich nur wenig, dass es zu dieser Zeit noch der Hölle in den Steinritzen davon sprang. Die Stadt war in diesem Teil ein Ort von Arbeit und Mühsal. Sicher war die Mutter des Kindes gerade beschäftigt, sich den notwendigen Kanten Brot oder die Schüssel Brei für das dürre spielende Ding zu verdienen. Wenn diese Arbeit vollbracht war, würde das Bett wohl auch für den Nachtschlaf der Kleinen wieder frei sein. Nichts, was Agnellina bekümmern sollte oder in diesem Moment fragwürdig erschien.

Agnellina verließ das Pflaster und wandte sich der kleinen Landzuge zu. Eine der Blumen in ihrem Arm legte sie nach wenigen Schritten auf den Boden. Es war eine Blume mit einem zarten violettem Blütenkopf. Sie hielt nur einen Augenblick inne und betrachtete die Blume am kahlen Boden. Dann wandte sie sich ab, ging weiter über die Felsen in Richtung des Wassers. Die anderen Farbtupfen, gelb und weiß und lila, nahm sie mit.
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Angelique
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Re: [1088] Jägerinnen [Agnellina, Angelique]

Beitrag von Angelique »

"Duhu, du hast eine Blume verloren", ertönte die helle, nicht unangenehme Stimme eines Kindes hinter ihr.

Es war Kind von vorhin und es hielt die fallengelassene Blüte in der Hand. Was seltsam war, war, dass die Kleine sind ungehört und ungesehen der Vampirin mit ihren unnatürlich scharfen Sinne hatte nähern können.

"Eine schöne violette wie die Blumen in meiner Heimat. Die sollte man nicht achtlos aus der Garbe verstoßen."

Das blasse Mädchen lächelte und der Wind der Küste zerzauste seine dunklen Locken, während es mit großen Rehaugen an ihr vorbei zu starren schien.
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Agnellina
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Re: [1088] Jägerinnen [Agnellina, Angelique]

Beitrag von Agnellina »

Sie zuckte zusammen, als die Stimme so nah hinter ihr ertönte. Der Schreck ließ ihre erste, schnelle Antwort noch im Umwenden nach einem verbalen Wegbeißen klingen. „Geh spielen. Oder besser, geh nach Hause.“

Agnellina sah das Kind und die Blume an. „Die hab ich nicht verloren oder verstoßen. Die hab ich hingelegt.“, schob sie weniger harsch hinterher.
Blütenblätter fielen zwischen ihren Fingern hervor. Sie hatte begonnen, einzelne aus den Köpfen der Blumen zu ziehen und wollte die Blütenblätter wohl in den Wind streuen.
Ihre eigenen Haare waren von einem Kopftuch gebändigt und artig bedeckt. Ihrem Gesicht fehlte die rosige Lebendigkeit in den Wangen, aber die Augen waren von einem warmen Braun und wirkten herzlich.
Ihre Stimme wurde freundlicher. „Für jemanden, der nicht mehr kommt. Willst du sie haben? Nimm sie mit, erfreue dich daran und geh schlafen. Es ist spät und die Nacht ist kalt.“
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Angelique
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Re: [1088] Jägerinnen [Agnellina, Angelique]

Beitrag von Angelique »

"Danke", sagte die Kleine und freute sich an der Blüte.

Dann schaute sie wieder mit den großen Rehaugen auf. "Wer ist es, der nicht mehr kommt?"

Sie lächelte. "Ich kann noch nicht schlafen und Kälte macht mir nichts aus.
Dasselbe könnte man aber dir auch raten. Eine junge Dame allein und nach der Sperrstunde kann das Interesse der falschen Leute wecken."

Sie deutete hinter sich, wo der Leuchtturm sich über die Felsen in den Himmel erhob. "Die Wachen da könnten dich für eine Spionin halten und dir eine Lektion erteilen wollen."
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Agnellina
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Re: [1088] Jägerinnen [Agnellina, Angelique]

Beitrag von Agnellina »

Agnellina sah die Freude des Kindes und lächelte. Diesen kurzen Moment genoss sie einfach, schob die eigenen Gedanken beiseite und war im Augenblick. Es gefiel ihr, wie die Rehaugen die Schönheit der Blume sahen.
„Dir gefällt die Blume wirklich.“, stellte sie fest. Nach kurzem Zögern hielt sie ihr den Rest der Blumen entgegen. „Da, nimm alle. Die Lebenden haben mehr davon als die Toten.“
Sie wollte gern mehr von der Freude sehen, ein kleines bisschen mehr von dem fremden Glück trinken.

Sie betrachtete das blasse, magere Kind. Die Fastenzeit war noch nicht um, aber es sah aus, als würde es auch davor und danach selten genug in den Bauch bekommen.

„Mach dir keine Gedanken um mich. Das ist sehr aufmerksam von dir.“
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Angelique
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Re: [1088] Jägerinnen [Agnellina, Angelique]

Beitrag von Angelique »

Das kleine Mädchen schüttelte traurig den Kopf. "Nein, die Toten brauchen die Blumen auch. Sie zeigen ihnen, dass wir an sie denken. Eine Blume reicht mir."

Sie schnupperte daran. "Ich wünschte, ich wüsste, für wen sie gedacht war. Ob der Verblichene diese Art mochte, den Duft und was er wohl sagen würde.
Mein Alerio hätte wohl gesagt 'Mädchenkram' und Roger hätte sie mir wohl ins Haar gesteckt und es gewuschelt. Etienne war nicht so für Blumen. Benjamin hätte sie auch sehr gemocht ..."

Sie schluckte schwer, als müsse sie Tränen unterdrücken.

"Du irrst dich. Die Toten haben sehr viel von solchen Blumen." Sie hielt die Blüte an ihre flache Brust und lächelte wieder. Diesmal weniger im Schmerz, sondern als würde das Mäschen sich an schöne Zeiten erinnern.
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Agnellina
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Re: [1088] Jägerinnen [Agnellina, Angelique]

Beitrag von Agnellina »

Sie beobachtete das Kind. Auch bei den Gefühlsregungen blieb sie auf Abstand und machte keine Anstalten, das fremde Kind zu trösten.
„Du hast viele Tote.“, stellte sie ruhig fest. „Deine Brüder?“

Agnellina sah auf die zurückgewiesenen Blumen in ihrem Arm. Sie zupfte einige Blütenblätter und ließ sie vom Wind aus ihrer flachen Hand forttragen. „Ich weiß es nicht, ob sie es gemocht hätten.“, sagte sie und sah den tanzenden Farbtupfen nach, bis die Dunkelheit sie verschluckte. „Ich mag Blumen. Sie sind einfach hübsch und sie kommen immer wieder. Selbst wenn der Frost sie niederringt oder Hitze und Sonnenglut sie zerdrücken. Nach einem Regen und mit dem Frühling kommen sie wieder.“

Dann sah sie das Kind wieder an. Eine leichte Beute, aber verbotenes Terrain. Das Kind war sicher. Zumindest vor ihr.
„Weißt du, dass Blumen nachts tanzen gehen?“
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Angelique
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Re: [1088] Jägerinnen [Agnellina, Angelique]

Beitrag von Angelique »

"Jaaa", sagte die Kleine verträumt. "Ich habe sie in meiner Heimat tanzen gesehen. Ein Reigen der Lavendelfelder zur Musik des Windes. Das Tanzen der Feen zwischen ihnen im Mondlicht. Ich glaube, ich habe damals schon die Nacht mehr geliebt als den Tag."

Sie lächelte leise. "Nein, keine Brüder, die sind alle sehr lange tot. Ich kann mich kaum an ihre Namen und Gesichter erinnern. Das waren Freunde, Weggefährten, Liebste." Sie seufzte und eine Melancholie lag darin, die ein Mädchen ihres Alters nicht haben sollte.

Dann lachte sie hell und eine kindliche Fröhlichkeit kehrte zurück, die besser zu ihr zu passen schien. "Ich mag Blumen auch. Und so, wie du sie beschreibst, sind sie mir ähnlich. Egal wie oft man mich niedertrampelt, ich stehe immer wieder auf.
Man nennt mich Angelique, das Mondkind. Wie heißt du?"
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Agnellina
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Re: [1088] Jägerinnen [Agnellina, Angelique]

Beitrag von Agnellina »

Langsam bewegte Agnellina den Kopf in eine leichte Schräglage, als der Groschen pfennigweise bei ihr fiel. Es war zunächst eine leise, wachsende Irritation durch das Gefühl, dass etwas nicht passe. Die Sprache der Kleinen mit ihrem Wechsel zwischen kindlich und irgendwie zu alt. Ein altkluges Mädchen, doch mit der Hand voll Lenzen von Liebsten und Weggefährten zu sprechen…
Verstohlen witterte sie, obwohl ihr das kaum Aufschluss geben würde. Diese Geste war ihr so vertraut wie unbewusst, begleitete die Untersuchung der Unstimmigkeiten.

Der Name ließ sie kurz nachdenklich von dem Kind zum Turm und zurück sehen. Der Ort passte zum Namen, doch die Gestalt vor ihr nicht zu ihrer Erwartung. Ihre Vorstellung hatte ihr aus dem wenigen, was sie gehört hatte, ein ganz anderes Bild gezeichnet. Was hatte sie eigentlich erwartet? Eine Art streitbare Amazone aus fernen Geschichten, gemischt mit einer weisen Kräuterfrau und einer verstoßenen Dirne. Aber gewiss kein mageres Kind mit freundlichem Lachen und hübschen Augen.

„Ich wurde Agnellina geheißen.“, murmelte sie irritiert und neigte den Kopf unsicher grüßend. „Du bist das? Livius hellster Kopf, seine wohlwerte Angelique vom Turm?“
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