[1089] Gewissensbisse sind der Nachtisch der Sünde [Agnellina, Gabriel]

Wenn die Sonne hinter das Appenningebirge sinkt, kriechen die Verdammten aus ihren Löchern. Dies sind ihre Geschichten.
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Agnellina
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[1089] Gewissensbisse sind der Nachtisch der Sünde [Agnellina, Gabriel]

Beitrag von Agnellina »

Ihre Nachricht war nicht sehr aussagekräftig gewesen. Auf mündlichem Wege übermittelt und nur mit der Bitte, sie zu empfangen - bei Gelegenheit und sofern er es ihn beliebte. Viele beschwichtigende Einschübe, alles ganz nach seinem Willen. Keine hohe Dringlichkeit, doch irgendwie umständlich erbeten. Dahinter steckte auf jeden Fall keine Anfrage zu einem Abend, an dem sie ihn unterhalten könne.

Sie war leise in der Villa Fiori erschienen. Barfuß und mit leisen Schritten, wie es ihre Art war. Äußerlich ein wenig anders als gewohnt. Sie trug ihren Umhang, den er aus der tiefsten Winternacht kannte. Sie hatte ihn fest umgebunden, trug ihn wie eine Rüstung gegen die Welt, obwohl das Wetter das nicht mehr unbedingt erforderte. Auf die Schuhe aus der gleichen Winternacht hingegen hatte sie verzichtet. Sie konnte nicht so gut mit den Klompen laufen wie ohne und so kalt war es in der Stadt am Meer nicht mehr in diesem Frühling. Aber der Umhang war doch ganz und sorgfältig geschlossen. Ihre Hände waren nicht zu sehen, sie hielten den Stoff des Umhangs von innen her fest.

Auch ihr Gesicht trug Spuren eines Wandels. Die sonst lebendigen Augen wirkten niedergeschlagen und müde. Das stetig freundliche Lächeln im Gesicht war einem verzagtem Ausdruck gewichen, der die Welt gerade gar nicht so sehr zu genießen wusste wie es sonst der Fall war.

Als sie den Raum fand, in dem er wohl bei der Arbeit war, trat sie ein und blieb kurz hinter dem Türrahmen im Raum stehen. Kein Wort, kein Atemzug, nur ein erster Blick. Meldete wohl der Instinkt seines inneren Tieres ihm die Ankunft des anderen Raubtieres? Er wirkte bei aller Konzentration nie so vertieft auf sie, dass er nicht stets ein Ohr auf seine Umwelt gerichtet zu haben schien. Die langen Nächte mit den Geschichten hatten ihr Gelegenheit gegeben, ihn zu beobachten. Sie war mit seiner Präsenz vertrauter geworden, mit seinen Bewegungen, seiner Art den Raum einzunehmen. Sicher hatte es ihm ebenfalls Einblick gegeben. Das Plaudern und Erzählen der jungen Gangrel, ihr Spiel und auch ihr manchmal fast übermütiges eintauchen und ausschmücken ihrer Geschichten. Sicher hatte sie stets die Etikette und einen respektvollen Abstand gewahrt, doch gleichzeitig hatte sie sich ihm dabei ein wenig geöffnet und ihm mit den gewünschten Erzählungen auch einen kleinen Teil ihrer Welt, ihrer Freuden und ihrer Vorlieben gezeigt.

Agnellina fand für den Auftakt erst einmal Sicherheit in den Ritualen des Benimms und der Etikette. Er hatte ihr gesagt, dass es ihr irgendwann leichter fallen würde. Dieser Fortschritt war eingetreten. Sie musste nicht mehr über jeden Schritt nachdenken. Ihre sortierenden Bewegungen, mit denen sie die richtige Bewegung mit den richtigen Anreden verbunden hatte, waren nicht mehr erforderlich. Was auch immer sie zu ihm führte, so wusste sie den Auftakt ihres Gespräches nun erwartungsgemäß zu gestalten. Sie kam näher, als sie sicher war, dass er sie bemerkt hatte. Respektvoll senkte sie den Kopf, knickste wie es ihre Eigenheit war, und hielt dabei den Umhang sorgfältig fest.
„Guten Abend, wohlwerter Herr. Verbindlichsten Dank, dass Ihr mich empfangt.“
Geduldig verharrte sie in der Geste.
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Gabriel Ducas
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Re: [1089] Gewissensbisse sind der Nachtisch der Sünde [Agnellina, Gabriel]

Beitrag von Gabriel Ducas »

Eine glückliche Fügung des Schicksals? Hatte er sich extra für sie Zeit genommen? Die Antwort des Herolds kam jedenfalls schnell und ohne große Umschweife. Die Gangrel könne sich zu nächster Gelegenheit in der Villa Fiori melden.

Das zukünftige Gästehaus war ein Prachtbau im hochgelegenen Stadtteil Mascharana. Hier oben war es ruhig und die Luft vom Meer vertrieb die üblen städtischen Gerüche. Das Haus selbst lag hinter einer hohen Mauer, hinter der ein Garten in wildem Wuchs vor sich hin wucherte und den Blick auf die restaurierten Gebäude versperrte. Hier lag noch Baumaterial und alles wirkte, als wäre es noch nicht ganz fertig. Doch der Schein konnte trügen. Nur wenige Besucher hatten sich dem Gebäude bislang so weit genähert um ihren Trugschluss auch zu erkennen. Die Substanz der alten römischen Gebäude war zwar erhalten geblieben, dennoch hatte eine meisterliche Hand dem Gebäude ein neues, zeitgemäßes Äußeres gegeben, ohne jedoch die vormalige Pracht und die Geschichte des Ortes zu zerstören. Auch Dachstuhl, Fensterläden und Möbel waren erneuert worden. Feinste Holzarbeiten die irgendwie auch Thematisch eine Art Widergeburt darstellten. Selbst der Boden, den die Füße der Gangrel nun berührten, war ein weiteres Meisterwerk. Die Fugen der Steine, die Muster und Farben. Es war, als atmete das Gebäude und ward gebildet aus der Natur selbst. In der Eingangshalle, welche sie durchquerte erstrahlte ein beeindruckendes Mosaik, das zweifellos auch ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde.

Ein majestätischer Baum bildete das zentrale Motiv des Mosaiks. Seine mächtigen Wurzeln drangen tief in die Erde ein, und seine Zweige erstreckten sich in alle Richtungen, als ob sie die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft symbolisierten. Der Baum war in warmen, erdigen Farben gehalten, die Ruhe und Harmonie ausstrahlten. Um den Baum herum versammelten sich Menschen und vermutlich Vampire in einem anmutigen Kreis. Die Identitäten waren nicht offensichtlich, da der Künstler geschickt vermied, die Klarnamen der Clans oder die Merkmale der Vampire hervorzuheben. Jeder von ihnen trug jedoch Symbole, sei es eine Feder, ein Buch, ein Schwert oder eine Waage, die seine individuelle Rolle im Streben nach Veränderung und Harmonie, aber auch etwas, das vermutlich seinen Clan repräsentierte, verdeutlichten.

Die Szene war von kunstvollen Mustern und kulturellen Symbolen umrahmt, mit Elementen aus verschiedenen Kulturen und Epochen, die das Forschungsinteresse Gabriels an der Geschichte und Philosophie anderer Völker widerspiegelten. Diese Elemente verschmolzen nahtlos miteinander und erzählten die Geschichte einer Gesellschaft, die durch kulturellen Austausch und Zusammenarbeit reicher und harmonischer wurde. Der Perfektionismus des Künstlers zeigte sich in jedem winzigen Stück des Mosaiks. Die Farben waren auf magische Weise abgestimmt, und die Linien und Formen waren präzise gelegt. Jedes Detail wurde sorgfältig ausgearbeitet, so dass die Gesamtkomposition sowohl ästhetisch als auch symbolisch beeindruckend wirkte. Am besten konnte man dieses Werk wohl mit den Worten „Harmonie der Zeit" beschreiben, und es war nicht nur ein Mosaik, sondern eine Botschaft an alle Gäste des Gästehauses. Es mochte jene daran erinnern, dass Menschen und Vampire gemeinsam an einer besseren Zukunft arbeiten konnten und können. Es ermutigte zur Reflexion über die Bedeutung von Kunst und Schönheit im Dienst des sozialen Wandels und der friedlichen Koexistenz.

Es waren so viele, sicher in mühsamen kleinen Schritten gelegte Steine und Details, dass man wohl immer wieder etwas Neues entdecken konnte, doch sie war hier, um jemand zu treffen. Aus einer Tür, welche an die Eingangshalle angrenzte, konnte sie sanfte Beleuchtung erkennen. Sie war nur angelehnt und dahinter fand sie den Brujah. Sitzend auf seinem unbequemen Hocker, den schweren Tisch mit Sand vor sich und einen weitaus bequemeren Stuhl als jenen Schemel, den sie noch aus ihrer ersten Begegnung kennen mochte, für Besucher. Auf ihre Worte hin, hob er den Kopf, nickte ihr zu Begrüßung knapp, aber höflich zu und erwiderte. „Meine Tür steht allen offen.“ langsam wandte er den Blick wieder auf das Werk vor ihm und deutete, ohne wirklich hinzusehen, auf den Stuhl vor dem Tisch. „Bitte setzt euch, werte Agnellina.“

So sie einen Blick auf den Tisch warf so waren dort mehrere Szenen dargestellt. Eine junge Person, in lebendigen Blau- und Grüntönen, die mit einer anderen Person spricht, welcher Älter scheint. Die jüngere Person scheint in weiteren Szenen Steine, aus welcher sie selbst gelegt wurde, an andere Figuren der Geschichte zu geben und so an Glanz zu verlieren.
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Agnellina
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Re: [1089] Gewissensbisse sind der Nachtisch der Sünde [Agnellina, Gabriel]

Beitrag von Agnellina »

Wie geheißen setzte sie sich.
Das ruhige Fortsetzen seiner gewohnten Arbeit ließ sie ihr Anliegen noch einmal - zum wer wusste schon wievielten Male in den letzten Nächten - in Frage zu stellen.

Für seine Arbeit hatte sie keinen Blick. Es war nicht so, dass Agnellina generell keinen Sinn für Ästhetik hatte. Mit Bestimmtheit erging sie sich nicht in tieferen Betrachtungen nach dem Warum oder in das Ergründen feinsinniger Bedeutungen hinter einer künstlerischen Arbeit. Doch für eine schöne Umgebung, den besonderen Glanz eines kleinen Käfers und auch und gerade Reize, die ihr Auge für die Schönheit des Lebens oder ihre Fantasie ansprachen, war sie eigentlich empfänglich. Doch die Gangrel war sichtlich bedrückt.

So fest sie sich in ihren Umhang gehüllt hatte, so steif saß sie auch vor ihn und starrte in den Sand.

„Herr.“

Die Anrede war Auftakt und Ersterben des Versuches in einem.

So viele Gedanken waren ihr durch den Kopf gegangen. So viele Varianten war sie durchgegangen, wie sie sprechen würde und was sie daraufhin vermutlich zu erwarten hatte. Die Anfänge, an die sie sich noch erinnerte, kamen ihr nicht richtig vor.

‘Ja, dieses Mal habe ich Grund zur Furcht.‘, erinnerte sie sich an seine letzte Eingangsfrage und bekam es nicht über die Lippen.

„Herr, wir müssen ernst sprechen.“

Auf der einen Seite war sie sehr froh, dass er auf seine Arbeit sah und sie nicht direkt anblickte.

“Über Recht und Gesetz.“, schickte sie hinterher.
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Gabriel Ducas
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Re: [1089] Gewissensbisse sind der Nachtisch der Sünde [Agnellina, Gabriel]

Beitrag von Gabriel Ducas »

Gabriel hob den Blick von seiner Arbeit, ohne jedoch direkt zu der Gangrel zu schauen. Seine Hände ruhten auf dem schweren Tisch, dessen Oberfläche mit feinem Sand bedeckt war, bereit für die Entstehung eines neuen Kunstwerks. Seine Gedanken schienen in die Tiefe des Materials einzudringen, während er ihre Worte aufnahm.

„Ernst sprechen, über Recht und Gesetz“, wiederholte er ruhig, während seine Hände das alte Werk mit einer ruhigen Bewegung entfernten. Dann wandte er den Blick auf das nun leere Bild im Sand und schweifte erneut ab, als er die Worte in seinem Geist verarbeitete. Die Atmosphäre war geladen, und er spürte, dass dies mehr war als nur eine einfache Unterhaltung über Rechtsfragen.

„Recht und Gesetz sind wie die Muster und Farben in einem Mosaik“, begann er, die Worte mit Bedacht wählend. „Jedes Element hat seine Bedeutung, seine Rolle in der Gesamtkomposition. Doch um zu verstehen, welche Harmonie entstehen kann, müssen wir die Teile einzeln betrachten und ihre Verbindung zu den anderen erkennen. Es ist ein faszinierendes Thema, das die Grundfesten unserer Existenz berührt. Was bringt euch dazu, gerade jetzt darüber sprechen zu wollen?“

Mit weiteren leichten Wischbewegungen seiner Hand über den Sand schuf er die Grundlage für das kommende Bild, eine leere Leinwand für eine Reflexion. Sein Blick verweilte nun nicht mehr auf dem entstehenden Sand, sondern auf Agnellina, als er fortfuhr.

„Erzählt mir, was bedeuten Recht und Gesetz für euch? Welche Rolle spielen sie in eurem Leben, in der Welt, die ihr kennt? Sind sie starre Regeln oder flexible Prinzipien? Und wie verhält sich ein wildes Herz dazu? Ist es ein Konflikt oder eine Harmonie?“

Seine Worte waren ruhig, die Fragen gezielt gestellt. Sie kannte es inzwischen. Die Kunst des Gesprächs mit dem Brujah bestand oft darin, seine eigenen Überlegungen zu entdecken, anstatt von ihm eine fertige Antwort präsentiert zu bekommen. Seine Hände bewegten sich geschickt, als er den Sand neu arrangierte. „Denkt ihr, das Recht und Gesetz unabänderliche Prinzipien sind, die für alle Zeiten gelten sollten? Oder sind sie eher formbare Konzepte, die sich mit den Veränderungen der Welt entwickeln sollten?“
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Agnellina
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Re: [1089] Gewissensbisse sind der Nachtisch der Sünde [Agnellina, Gabriel]

Beitrag von Agnellina »

Ihre vorgezogenen Schultern zeigten erst einmal ein ratloses Zucken. Entweder die nonverbale Äußerung, keine Antworten auf die Fragen zu wissen oder der Hinweis, dass es ihr ziemlich egal war. Ihre Augen fixierten ungefähr ihre Hände, die unter dem Umhang ruhten - weniger ruhten, mehr verborgen waren und sacht am Stoff knibbelten. Die Bewegung war minimal. Sie vermied jeden Blick.
Ihre Antworten kamen zunächst recht stockend.
„Ich habe in den letzten Nächten darüber nachgedacht. Was ich darüber weiß. Über die Traditionen. Über die Gebote. Die Regeln. Und von den Gesetzen. Was ich darüber nicht weiß. Was hier passiert, wenn etwas passiert.“
Nach diesem Fragment ihrer Gedanken verließ sie den ausgetretenen Pfad und mühte sich, seine Fragen zu betrachten.

„Was Recht und Gesetz für mich bedeuteten?“ Wieder ein Schulterzucken. „Was sollen sie für mich schon bedeuten? Das gleiche wie für jeden anderen auch? Sie gelten. Unser erstes Gesetz sind die Traditionen. Sie wurden uns gegeben. Sie werden sorgfältig überliefert von den Alten zu den Jungen und das Wort für Wort. Sechs einfache Regeln, mit denen wir bestehen oder durch die wir untergehen.“
Manches war so einfach in den Worten, obwohl sich das entweder oder gar nicht so leicht anfühlte.
„Also wenn Ihr mich fragt, welche Rolle sie in meinem Leben spielen. Keine besondere. Es gibt sie eben. Sie sind wichtig, weil sie unser erstes Gesetz sind. Sie schützen uns. Sie machen die Ordnung.“
Sie hatte versichert die Traditionen zu kennen, von Geboten und Verboten in ihnen gesprochen und vor allem, sich nach ihnen zu richten, als sie mit der Bitte um das Gastrecht erstmals bei ihm vorgesprochen hatte. Nun spielten sie keine besondere Rolle in ihrem Leben und doch hatte sie um dieses Gespräch gebeten. Es hätte sicher viele andere Themen gegeben, über die sie hätten sprechen können.
„Starr oder flexibel…“ Sie schüttelte langsam den Kopf. „Herr, ich verstehe nichts davon. Ich verstehe nichts von Recht und Gesetz und Prinzipien und wie sie gemacht werden und gelten. Nicht in der Stadt, nicht zwischen den Clans. Nicht ich mache sie. Und Ihr macht sie auch nicht, glaube ich. Die Traditionen… nun, sie sind wohl unabänderlich für einen jeden von uns. Also starr. Sie können vermutlich nur von dem geändert werden, der sie gemacht hat, nehme ich an. Aber ich weiß es nicht. Die anderen Regeln hingegen… die sind verschieden.“
Ihre Stirn kräuselte sich etwas, als sie mehrere Gedankenpfade im Kopf sortiert hielt und abschritt.
„Manche Regeln gelten nicht immer. Nicht überall oder nicht für jeden. Manche Regeln und Gesetze ändern sich auch, wenn wir uns ändern. Ein Welpe bekommt andere Regeln, Verbote und Gebote. Er weiß zu wenig, kann zu wenig. Braucht mehr Schutz. Seine Regeln schützen andere vor ihm und ihn vor den Gefahren des neuen Lebens - vor der Welt, vor den Anderen, vor sich selbst - bis er sie erkennen kann, bis er soweit im Geist gewandelt ist… Dann ändern sich die Regeln, sie sind also flexibel? Einige. Einige behält man von selbst, weil sie sich als kluge Ratschläge erwiesen haben. Sind das dann Prinzipien?“

Agnellina folgte dem nächsten Pfad.
„Die Gesetze… ich hatte Euch gefragt, was es über die Traditionen hinaus zu beachten gibt. Und ihr habt mir gesagt, an welche Gesetze sich hier jeder zu halten hat, der in der Domäne aufgenommen werden möchte. Ich habe den Kern verstanden. Aber vielleicht nur den Kern, der für mich klar war. Gefragt habe ich damals nichts dazu. Mich nicht, euch nicht. Ihr sagtet, wer Teil sein möchte. Ich weiß nicht, ob es auch für jene gilt, die Teil sind. Obwohl… nein, das stimmt nicht. Ich weiß es inzwischen… Glaube ich…“

Sie stolperte über ihren Gedanken. Hob für eine Sekunde den Blick.
„Haltet Ihr mein Herz für ein wildes?“, fragte sie und ihre Augen waren schon wieder auf die kleine wackelnde Stelle im Stoff ihres Umhangs gerichtet.

„Ein Konflikt oder Harmonie… Beides. Kommt darauf an. Einige Dinge sind einfach. Harmonie. Ich weiß, es gilt. Es berührt mich aber nicht. Ist leicht, sich daran zu halten. Anderes… ist schwer. Ist das ein Konflikt? Ja, jedes Mal, wenn es mich berührt.“

Sie presste kurz die Lippen aufeinander.

„Ist es nicht gleichgültig, was ich denke? Ist das nicht wie mit der Ordnung der Gesellschaft? Nicht ich bestimmte, was ist. Nur, weil ich das Gefühl habe oder denke, jemand gebührt der Platz nicht, den er innehat, so ist es nicht an mir, ist es nicht mein Recht, ihn anders zu behandeln. Oder vielleicht sogar ist es noch wichtiger als die Ordnung der Gesellschaft. Meint Ihr, dass ist gleich oder was ist wichtiger? Dieses Protokoll und diese Ordnung oder die Gesetze? Ihr habt gesagt, es gibt keine Nachsicht in der Gesellschaft. Wie ist das mit dem Recht? Gibt es so etwas dort? Die Traditionen sind beständig, sie sind der Bund, auf dem alles gegründet ist. Und die anderen Sachen? Die sind vielleicht nicht unabänderlich. Sie waren nicht immer, also werden sie vielleicht auch nicht immer sein. Ich kann mir vorstellen, dass es… Gründe geben könnte, etwas nicht mehr zum Gesetz zu haben oder ein neues zu erlassen. Aber solange sie gelten, gelten sie auch für mich und ich glaube nicht, dass es an mir ist, daran etwas zu ändern.“
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Re: [1089] Gewissensbisse sind der Nachtisch der Sünde [Agnellina, Gabriel]

Beitrag von Gabriel Ducas »

Gabriel betrachtete Agnellina mit einem nachdenklichen Blick, während er ihre Worte aufnahm. Seine Hände arbeiteten weiter am Sand, als würden sie die Konturen eines unsichtbaren Mosaiks gestalten. Die Kunst des Gesprächs war für ihn ebenso wichtig wie die künstlerische Gestaltung. „Die Traditionen…“, begann er bedächtig, „…sind das Fundament, auf dem unser Dasein als Kinder der Nacht ruht. Sie sind die Wurzeln, die tief in die Vergangenheit reichen. Doch auch Wurzeln können sich verändern, neue Triebe entspringen, und so wird der Baum weiter wachsen.“ Seine Finger formten im Sand abstrakte Linien, die die Vorstellung eines wachsenden Baumes hervorriefen. „Ein Neugeborener mag andere Regeln benötigen als ein Ahn. Die Traditionen, bieten Stabilität.“

Gabriel hielt inne, und sein Blick wanderte zu dem Mosaik in der Eingangshalle. „Das Mosaik dort…“, sagte er, auf das Kunstwerk deutend, „…ist eine Erinnerung daran, dass Veränderung und Harmonie Hand in Hand gehen können. Wir sind keine starren Figuren in einem längst vergangenen Gemälde. Wir sind Teil einer lebendigen Welt, das sich ständig neu gestaltet. Recht und Gesetz…“, fuhr er fort, „…sind wie die Farben, die wir für unser individuelles Mosaik wählen. Sie mögen unterschiedlich sein, aber sie müssen in der Gesamtkomposition zusammenpassen. Ein wildes Herz kann in Konflikt mit starren Regeln geraten, aber auch Harmonie in einer Welt der Freiheit finden. Es hängt davon ab, wie wir unsere Farben wählen.“

Gabriel schob noch etwas Sand beiseite und erhob sich leicht von seinem Hocker. Sein Blick ruhte wieder auf Agnellina. „Was ihr denkt, ist nicht gleichgültig…“, sagte er ruhig. „Eure Gedanken formen die Farben eures Mosaiks. Ihr mögt Teil einer größeren Ordnung sein, aber ihr seid auch ein einzigartiges Kunstwerk für sich. Die Gesellschaft hat ihre Ordnung, die Traditionen ihre Stabilität, aber das Recht kann sich wandeln…“, erklärte er weiter. „Die Kunst besteht darin, die Balance zu finden, die Harmonie zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte.“ Der Herold ging zu einem Regal und holte eine kleine Palette mit verschiedenen Farben hervor. „Das Gesetz ist nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für uns selbst. Es ist eine Reflexion der inneren Ordnung.“ Mit beinahe meditativen Bewegungen begann der Brujah, mit den Farben auf einem leeren Stück Papier zu experimentieren, wobei er abstrakte Formen und Muster entstehen ließ. „Gesetze können sich ändern, wenn die Notwendigkeit besteht…“, sagte er nachdenklich. „Aber das bedeutet nicht, dass wir willkürlich handeln sollten. Die Kunst liegt darin, die Prinzipien zu erkennen, die über den Gesetzen stehen, und sie zu bewahren.“

Gabriel reichte Agnellina die Palette. „Die Farben sind eure Entscheidungen.“, sagte er. „Malt euer Mosaik und bedenkt dabei die Traditionen, die Gesetze und die Prinzipien. Eure Gedanken sind der Pinsel, und die Leinwand der Weg.“ Die Worte des Brujah waren wie ein sanfter Wind als er sie aufmunternd ansah. Was für ein Mosaik würde sie wohl erschaffen, und welche Farben würden ihre Entscheidungen enthüllen? Das Gespräch schien nicht nur eine Reflexion über Recht und Gesetz, sondern auch ein Weg, die eigene innere Ordnung zu erkunden.
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Re: [1089] Gewissensbisse sind der Nachtisch der Sünde [Agnellina, Gabriel]

Beitrag von Agnellina »

Sie hörte zu, still und aufmerksam, doch ihre Haltung blieb dieselbe. Vielmehr machte sie sich wohl unbewusst etwas kleiner, als er aufstand. Ihre Schultern gingen noch etwas nach vor, der Rücken rundete sich ein wenig, der Kopf zog sich eine Winzigkeit weiter nach vorn, tiefer. Eine Abwehrhaltung. Völlig konträr zu seiner freundlichen, ruhigen Art.
Als er die Palette hinhielt, nahm sie diese nicht an. Sie behielt ihre Hände unter dem Umhang.
“Bitte, Herr…“
Selbst ihre Stimme rollte sich zusammen.
“Ich kann nicht…“
Sie schüttelte den Kopf, ablehnend, sich verweigernd.
“Ihr dürft nicht… Ihr wisst nicht…“
Wenn sie doch nur in diesen Stuhl hineinkriechen und versinken könnte.
“Das ist freundlich, aber… ich hab… ihr wisst nicht… Ich bin hier, weil… ich mit dem Herold sprechen muss.“
Wie auch immer sie ihn von seiner Funktion trennte. Kein Blick für das, was er zeigte, worauf er gedeutet hatte. Was er vormachte. Es war so wirr wie ihre Sprachbrocken.
“Herr, ich… ich hab… Was passiert, wenn…“
Bei allen blumigen Umschreibungen, zu denen sie fähig war, fehlten ihr hier jetzt beschönigende Worte und so kam es letztlich als der Stein heraus, den sie her geschleppt hatte. Ohne weiche Kanten, ohne Entschuldigungen oder Erklärungen, spukte sie es in der Reinform heraus.
“Ich hab das Gesetz gebrochen.“
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Re: [1089] Gewissensbisse sind der Nachtisch der Sünde [Agnellina, Gabriel]

Beitrag von Gabriel Ducas »

Gabriel schaute Agnellina ruhig an, als sie die Worte aussprach. Seine Miene veränderte sich nicht, und er schien nicht überrascht oder verärgert zu sein. Stattdessen senkte er die Palette und legte sie beiseite. Seine Aufmerksamkeit galt nun ganz der Gangrel vor ihm.

„Das Gesetz gebrochen“, wiederholte er leise, während er sich wieder setzte und seinen Blick auf Agnellina ruhen ließ. „Die Schatten unserer Entscheidungen begleiten uns, und es ist mutig, darüber zu sprechen. Doch bevor wir darüber urteilen, lasst uns verstehen. Erzählt mir, Agnellina, was ist passiert? War es eine schwere Verletzung der Traditionen oder ein Verstoß gegen die Gesetze der Domäne?“

Seine Stimme blieb ruhig und einfühlsam, und er zeigte keine Anzeichen von Verurteilung. Stattdessen schien er darauf bedacht zu sein, den Kern der Angelegenheit zu verstehen und Agnellina die Möglichkeit zu geben, ihre Geschichte zu erzählen. Sein Blick wirkte aufmunternd, und er schenkte ihr eine ruhige Gelassenheit, die dazu ermutigte, die Worte freizugeben, die in der Tiefe ihres Wesens gefangen waren. In diesem Moment schien die Villa Fiori, mit ihren kunstvollen Mosaiken und der stillen Atmosphäre, ein Raum des Vertrauens zu sein, in dem Agnellina die Möglichkeit hatte, ihre Geschichte zu teilen.
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Re: [1089] Gewissensbisse sind der Nachtisch der Sünde [Agnellina, Gabriel]

Beitrag von Agnellina »

„Ich weiß nicht genau.“, begann sie. „Ein bisschen beides. Auf jeden Fall das Gesetz. Der Rest… ich gehe davon aus, das jedes Gesetz letztlich durch die Traditionen begründet oder gestützt ist. Darum… vielleicht. Aber ich weiß es nicht sicher.“

Agnellina holte tief Luft, setzte neu an. Ein leichtes Wiegen ihres Oberkörpers verschaffte ihrer Unruhe einen Platz und sie konzentrierte sich weiter mehr auf die Fragen zur rechtlichen Seite.

„Ihr habt mir erklärt, dass ich nicht innerhalb der Mauern jagen und meinen Durst stillen darf. Nur außerhalb. Eine Gesetz, an das sich jeder halten muss, der in der Domäne aufgenommen werden möchte. Dieses und die Achtung der Gebiete, die nicht bejagt und erst recht nicht betreten werden dürfen. Daran habe ich mich gehalten. Auch von den Tieren, die Ihr mir zu fangen auferlegt habt, habe ich keinen Tropfen innerhalb der Mauern getrunken. Ist ein Gesetz, also hab ich mich dran gehalten und weil ich gern länger bleiben dürfen möchte.“

Im Kopf der Gangrel ergaben ihre Worte vollkommen Sinn. Sie hielt sich an das Gesetz, weil es ein Gesetz war und man sich an Gesetze eben hielt. Außerdem wollte sie gern bleiben und die Einhaltung dieses Gesetzes hatte sie als eine Bedingung dafür erfasst.
Sie zögerte, rang mit sich. Sie wandte kurz den Kopf zur offenen Tür. Ein beruhigender Atemzug, als würde Luft nur durch diese offene Tür zu ihr strömen. Ihre Zehen krallten sich in den Boden, suchten besseren Halt, pressten sich schließlich flach auf den festen Untergrund. Die Beine würden am liebsten ebenfalls auf den Stuhl kommen, sich eng anschmiegen, umklammert werden. Doch sie wusste, dass sich das absolut nicht schickte. Das leichte Wiegen des Oberkörpers beruhigte sie weiterhin, als sie zum Kern des Problems vordrang.

„Und doch sind jetzt drei Menschen tot und ich hab innerhalb der Mauern getrunken.“

Betretenes Schweigen folgte nach diesem leisen Satz. Keine Erklärungen, keine Entschuldigungen und keine Ausreden. Nur das nackte Ergebnis. Sie hielt den Kopf weiterhin mit steifen Muskeln gesenkt, konnte ihn nicht ansehen. Sie hatte vor Monaten die Antwort auf ihre Gefühle beim Töten verweigert. Nun konnte sie nicht verbergen, dass es ihr alles andere als einerlei war. Oder zitterte sie einfach nur, weil sie Angst vor Strafe hatte? Von den Worten her konzentrierte sie sich auf die kalten Tatsachen, den Fragen von Recht und Gesetz.

„Damit habe ich das Gesetz gebrochen. Der Prinz als Herr einer Domäne verfügt die Gesetze. Die Tradition verlangt, den Prinzen als Herrn der Domäne anzuerkennen und ihn entsprechend zu achten. Das heißt auch seine Gesetze zu achten. Meint Ihr, der Prinz ist nun zornig mit mir?“

Das schien ausschlaggebend für Agnellina als Bemessungsgrundlage, ob die Tradition verletzt war oder nicht. Woher die Maßgabe um die Gefühle des Herrn der Domäne kamen, war offensichtlich. Zumindest in diesem Punkt war die junge Gangrel gewissenhaft unterrichtet worden. Sie kannte den Wortlaut der Traditionen sehr genau und hatte sich ihre Gedanken dazu gemacht.
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Gabriel Ducas
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Re: [1089] Gewissensbisse sind der Nachtisch der Sünde [Agnellina, Gabriel]

Beitrag von Gabriel Ducas »

Das Schweigen, das auf Agnellinas Enthüllung folgte, wurde von Gabriel respektiert. Er schien die Schwere der Situation zu erfassen und ließ ihr den Raum, den sie brauchte, um ihre Gedanken zu ordnen. Sein Blick war nach wie vor ruhig und ohne Verurteilung.

„Drei Menschen sind tot, und ihr habt innerhalb der Mauern getrunken“, wiederholte er die Worte, als würde er die Bedeutung erfassen. „Das sind ernsthafte Verstöße gegen die Gesetze der Domäne.“ der Brujah nahm sich einen Augenblick der Stille, bevor er fortsetzte. „Aber wir müssen verstehen, wie es dazu gekommen ist. Ihr sagt, ihr habt euch an das Gesetz gehalten, indem ihr außerhalb der Mauern jagtet, und auch die Tiere gefangen habt, um innerhalb der Gesetze zu bleiben.“

Erneut wandte er den Blick auf das Mosaik in der Eingangshalle, als würde er nach Inspiration suchen. „Es gibt eine Weisheit, die sagt, dass die Strafe der Sünde oft in der Sünde selbst liegt“, sagte er nachdenklich. „Aber wir sind nicht nur von unseren Fehlern definiert, sondern auch von unserer Bereitschaft zur Veränderung. Wir können aus unseren Fehlern lernen und danach streben, besser zu werden.“

Gabriel nahm drei verschiedenfarbige Federn aus einer Schatulle und reichte sie der Gangrel. „Drei kleine Federn…“, erklärte er. „Jede Feder repräsentiert eine Person, die durch eure Hand ums Leben gekommen ist. Ihr könnt sie hier lassen, und ich werde sie an einem Ort ehren, der ihrer würdig ist. Oder ihr könnt sie behalten, als eine Erinnerung an die Verantwortung, die wir für unsere Taten tragen.“

Gabriel sah Agnellina mit einem sanften Blick an. „Das Gesetz ist wichtig, und es schützt die Ordnung der Domäne. Aber die Traditionen erlauben uns auch, die tiefere Bedeutung unserer Handlungen zu verstehen und unsere eigene innere Ordnung zu finden. Redet mit mir! Warum ist dies geschehen? Welche Herausforderungen habt ihr erlebt, die zu diesen tragischen Ereignissen geführt haben?“
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