[1090] Knüpfen von Banden [Angelique, Harl]

[Angelique]

In den kalten, nebligen Nächten des neuen Jahres hing, vom Leuchtfeuer des Turms überstrahlt und leicht zu übersehen, ein kleines Laternenlicht Richtung Hafen.

Das verabredete Signal, dass Angelique mit ihrem Blutsbruder plaudern wollte.

In den verworrenen Gedankengängen der kleinen Vampirin hatte sie erkannt, dass manche ihrer Problem nicht in der Echokammer ihres Geistes gelöst werden konnten, sondern sie Rat und Hilfe von außen brauchte.
Harl würde da nicht nur anregend sein, seine beneidenswerte Freiheit, wie ein Gangrel zu gehen, wohin ihm beliebte, wäre nützlich, um in Kontakt mit anderen Verstoßenen zu bleiben.

[Harl]

Es dauerte ein paar Nächte. Doch beim nächsten Mal, zu dem Harl wieder im genuesischen Hafen war, kroch er dort auch an Land, wo Angelique ihr Licht aufgehängt hatte. Zwischen den Felsen am Fuß des Turmes suchte er nach den Kleidern, die der das letzte Mal dort versteckt hatte, aber das meiste war entweder von Ratten zerfressen, von Möwen zerpflückt oder vom Wasser davongetragen worden. Übrig geblieben war eine löchrige Tunika, doch mithilfe von Zähnen und etwas Übung machte er daraus einen passablen Lendenschurz. Er fand, dass das schon sehr auf die Befindlichkeiten der Menschen am Hafen Rücksicht nahm und der Stoff hatte sogar ein bisschen Farbe.

So jedenfalls näherte er sich dem Turm, an welchem das Licht hing. Er erwog, sich einfach hinein zu schleichen, doch es kam ihm unhöflich vor. Er war nicht auf der Jagd nach Angelique. Er war zu Besuch. Solche Feinheiten bedeuteten Unterschiede und darunter auch den, dass er sich bei einem der Wächter am Turm einfand.
"Buonasera", raunte er, auch wenn es wohl ein sehr dehnbarer Begriff von "Abend" war. Er hatte gejagt bevor er überhaupt aus dem Wasser gekrochen war.
"Ich bin... nh. Ich bin hier wegen des Lichts. Am Turm. Die Laterne."

[Angelique]

Der Bewaffnete, der Harl öffnete, nickte dem Halbnackten zu. Er war eingeweiht und nahm keinen Anstoß daran, dass jemand nass und halbnackt im Winter anklopfte.
"Ich hole Ange", meinte er mit nordfranzösischem Akzent, "wartet kurz."

Wenig später hetzte das kleine Mädchen den Turm hinab.
"Harl! Schön dich zu sehen! Danke, dass du gekommen bist. Wollen wir im Turm reden oder draußen flanieren? Herrliches Wetter für halbnackt herumtollen."

Der Wächter runzelte die Stirn und griff zu einem warmen Mantel in der Größe des Kindes. Für den Fall, dass sie wirklich draußen im eisigen und windigen Wetter des Winters "herumtollen" wollte. Nicht, dass sie ihn brauchen würde, aber trotzdem wollte der Mann seiner kleinen Herrin es so angenehm wie möglich machen.

[Harl]

“Draußen”, stimmte Harl zu und ließ offen, wieviel er mit einem Wort wie ‘flanieren’ beginnen konnte.
Er beugte sich hinab und in ihre Richtung, sog die Luft tief ein, nahm ihren Geruch auf.

“Dachte nicht..”, begann er leise und machte eine Geste den Turm hinauf. “...dass du das Licht je aufhängst.” Während Angelique Zeit für den Wächter und den Mantel hatte, sah er den beiden zu.

“Gefährlich”, philosophierte er vage. “Kälterer Wind. Der Kerl in Votori… tot. ‘ch schätze, mein neuer Jagdgefährte auch.” Er wendete seinen Kopf herum wie um besser in die Richtung jenes Wächters zu lauschen, ob der auf solche Worte hin etwas tat.

[Angelique]

"Oho", machte Angelique interessiert, während sie Harl nach draußen ins raue Wetter folgte.
"Erzähl mir mehr von diesen Vorgängen. Jedes Detail! Das bewegt sich ja viel im Moment. Wie Steine, die Wellen in einem Gewässer erzeugen."

Sie schüttelte den Kopf, wie um sich nicht ablenken zu lassen. "Ich wollte dich aber eigentlich sprechen, weil ich dich fragen wollte, ob du, da du ja weit herumschwimmst, auch Botschaften tragen könntest. Zum Beispiel für den verbannten Nicolo, der wegbefördert wurde."

Sie seufzte. "Ich bin im Laufe der Jahrzehnte immer unzufriedener mit dem Weg geworden, den mich meine Sire lehrte. Jetzt weiß ich, dass es nur ein Machtinstrument der Ältesten meiner Linie war und weder zur Erleuchtung führt, noch zum Wohle von Menschen und Gott dienen kann, wenn ich den Häretiker, das Monster in Mailand und den primitiven Hetzer Ferrucio hier sehe, die diesen Weg lange hinabgeschritten sind.

Ich muss mich umorientieren, um nicht so zu werden wie sie. Die Humanitas der Antike würde mir und meinem gnostischen Weltbild am ehesten liegen, aber es gibt wenige, die das lehren können. In diesem verkommenen Drecksnest wahrscheinlich sowieso keinen.
Nicolo sagte man nach, alte Weisheit erlangt zu haben.

Ich will aber keine Briefe schreiben. Gefährlich und albern. Ein Bote, dem ich traue, wäre mir da lieber.
Da kommst du ins Spiel, solltest du mal da in der Gegend sein, wo er jetzt haust."

[Harl]

Harl folgte ihr, als sie hinaus in die Dunkelheit ging. Er folgte ihrer Stimme, die zu viele und zu schnelle Worte trug als dass er irgendeines dazwischen bringen wollte. Oder konnte. Also folgte er dem einfach und lauschte so wie man einer Nachtigall lauscht.

“Ich verstehe nicht einmal die Hälfte”, meinte er schließlich, ein wenig amüsiert, sicherlich vorsichtig, denn auch wenn er nicht viel verstand, konnte er doch den Klang von Wut und Gift hören, der in diesen Worten lag. Wut gegen andere, Ältere. Gift gegen diese Stadt, an deren Hafen sie gerade gingen.
Wut war einschlechter Weggefährte und ein noch schlechterer Reiseführer. Gift wie dieses zersetzte einem die Gedanken, lähmte den Verstand. Das waren Dinge, die Harl gut verstand und darum war er vorsichtig.

“Botschaften tragen kann ich. Tue ich manchmal und lasse mich dafür bezahlen. Dazu muss ich den Rest nicht verstehen”, meinte er langsam. “Wo ist dieser …nh.. Nicolo?”

[Angelique]

Die kleine Vampirin überlegte kurz schaute nach Süden. "In Salerno. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, ist das doch eine große Strecke, die selbst zu Schiffe ein paar Tage dauert.

Ich kann aber keinen meiner Händler mit einem Brief dorthin schicken, da ich nicht weiß, wie ich Nicolo dort kontaktieren kann.
Wenn du also mir eine Möglichkeit erkunden könntest, wem oder wohin ich Briefe für Nicolo schicken muss, wäre das schon sehr hilfreich.
Natürlich nur, wenn du mal da in der Gegend bist.

Ich wage nicht zu hoffen, dass du da bereits Leute kennst, die du mir jetzt einfach nennen kannst.

Was würdest du dafür an Bezahlung nehmen wollen, diesen Kontakt herzustellen?"

[Harl]

Harl dachte eine Weile nach.
"'ch bin nicht oft so weit die Küste runter. Aber ich weiß, wo's ungefähr ist, Salerno. 's gibt Kainiten hier in der Domäne aus der Ecke."

Er wiegte den Kopf. "Einen Kontakt da habe ich nicht. Könnte einen finden, könnte auch da runter. Brauche länger als ein Schiff - außer ich fahre mit einem von deinen. Heh. Geht auch, habe ich länger nicht. Aber ich kann meinen Teil leisten, an Deck. Oder ungesehen bleiben. Wie's eben am besten sein soll."

Harl sah dann auf Angelique herunter und zum Meer hin. "Bezahlung. Nh. Gefallen, das wäre normal. Aber du bist Autarkis. Du bist raus-gefallen aus Gefallen, Wort und Handel, Gesellschaft, allem, was wir untereinander haben. Würde die Weiße Prinzessin dich nicht beschützen, vielleicht würde ich dich jagen, weil's leichte Beute ist. Nh." Er sagte das einfach so, ehrlich und unverstellt, ruhig und als simple Tatsache.

"Doch sie jetzt auch meine Fürstin. Prin..ceps? Prinz? Das." Er suchte ein bisschen nach dem richtigen Wort oder Titel und machte eine vage suchende Handgeste dazu. "Also ist es ein Patt zwischen uns. Keine Gefallen, keine Jagd. Aber vielleicht... hn. Wir sind trotzdem vom selben Blut. Und du wurdest verstoßen, weil du Geheimnisse verraten hast. 'ch schätze, du könntest sie dann auch mir verraten, wo's kein Verrat wäre, denn wir haben dasselbe Blut. Das wäre eine Bezahlung, die geht."

[Angelique]

"Käme auf die Geheimnisse an. Ich wüsste nicht, welche Geheimnisse des Blutes ich hätte, die du nicht schon lange kennst. Und Geheimnisse über die Intrigen meiner ehemaligen Blutlinie werde ich nicht teilen. Das ist mir besonders verboten worden und da die auf mystischem Wege oder durch irdische Plappermäuler so was offenbar immer sofort wissen, wäre das lebensgefährlich. Auch für dich.

Kleinere Geheimnisse könnte ich aber teilen, so ich sie weiß, für kleinere Sachen, die du machst. Zum Beispiel sagst du, es seien Kainiten aus Salerno hier. Vielleicht könntest du herausfinden, ob die Kontakt mit Nicolo pflegen."

[Harl]

"Deine Blutlinie ist nicht ehemalig. Blut ist Blut", sagte Harl leise. "Du bist verstoßen. Vogel-frei. Verfehmt. Beute für die Wölfe."
Er schüttelte sich einmal und winkte dann ab.

"Ich kann mich umhören, hier. Für einen solchen Kontakt. Muss ein paar Wege geben, denn er ist Botschafter, eh? Aber was dabei rauskommt... nh." Er zuckte mit den Schultern. "Ich bin neuer hier als du. Hätte gedacht, genau solche Sachen weißt du alle. Kennst die anderen hier besser als irgendeiner sonst. Wie willst du sonst überleben?"