[1090] Die Iden des October [Allegra, Atessa, Vincente, Gabriel, Drita, (SL)]

Wenn die Sonne hinter das Appenningebirge sinkt, kriechen die Verdammten aus ihren Löchern. Dies sind ihre Geschichten.
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Vincente Carlos
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Re: [1090] Die Iden des October [Allegra, Atessa, Vincente, Gabriel, Drita, (SL)]

Beitrag von Vincente Carlos »

Vincente erwiderte das Lächeln, ehrlich. „Es ist schön von euch so freundlich empfangen zu werden, auch wenn der Anlass wohl ernst ist.“ Er verzog kurz das Gesicht bei dem, was er drinnen befürchtete. „Auf der Reise hierher ist mein Zeitplan leider etwas durcheinander geraten, ich hoffe ich bin nicht zu spät? Sind die anderen geladenen Gäste denn schon da?“

Während er das fragte, wischte er sich den Staub von Gesicht und Hals, Armen und Händen. Auch konnte er nicht widerstehen etwas von dem Rosenöl, dass auf dem Wasser schwamm, mit einer Fingerkuppe aufzutupfen und – wie er hoffte – dezent auf dem Brusthaar zu verteilen. Unter keinen Umständen würde er es sich hinter die Ohren tupfen.

Das Messer, welches er bei sich führte, legte er wie gewünscht ab.

Nachdem er sich den Staub des Weges abgewaschen hatte, holte er aus einem Beutel zwei Pakete heraus. Das eine, kleinere, überreichte er dem Allesfresser mit der Bitte dieses Gastgeschenk ihrer höchst verehrten Majestät Aurore zu überreichen. Es enthielt eine kleine Holzschachtel mit einer schlichten, polierten Haarnadel, welche vage an einen Zweig mit Knospen oder Blüten erinnerte.

In das zweite Bündel waren süße Brötchen eingeschlagen, welche er dem Allesfresser überreichte. Man habe ihm versichert, dass der Inhalt köstlich sei. Falls diese auf dem Weg hierher durch das Tragen etwas zerdrückt wurden, so bittet er um Entschuldigung. Vielleicht könnten Sie sich ja bei anderer Gelegenheit einmal über das Essen unterhalten...
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I Tarocchi
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Re: [1090] Die Iden des October [Allegra, Atessa, Vincente, Gabriel, Drita, (SL)]

Beitrag von I Tarocchi »

Über solche Geschenke freute sich Lucio sichtlich. Es war vielleicht nicht ganz der höchsten Form der Etikette angemessen, aber er lächelte breit und klopfte sich auch einmal auf seinen beträchtlichen Bauch, als er die Brötchen annahm. "Danke sehr", meinte er, ließ die Brötchen dann aber doch lieber erst einmal auf einem kleinen Tisch am Rande liegen, wo sie den anderen Gästen und seiner Herrin nicht unter die Augen kamen. Er lächelte ein bisschen verschmitzt dazu - vielleicht waren es tatsächlich diese kleinen Freuden, die dem alten Ghul über die Jahre, Jahrzehnte oder sogar länger hinweghalfen.

Das Geschenk für die Hausherrin nahm er etwas ernster entgegen und nickte auch ein bisschen zu Vincentes Kommentar mit dem ernsten Anlass. "Die anderen sind schon da, darum würde ich Euch jetzt eilig mit dazu lassen. Das wird schon hoffentlich irgendwie gehen...", meinte er und trug dann Vincentes Holzschachtel vor sich her während er diesen zügig durch den Säulengang um das Atrium herum zum Eingang der Weißen Halle führte.
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Gabriel Ducas
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Re: [1090] Die Iden des October [Allegra, Atessa, Vincente, Gabriel, Drita, (SL)]

Beitrag von Gabriel Ducas »

Bevor Gabriel mit feierlichem Ernst vortrat, sah er einen Moment zu Drita und schien den Schritt sogar einen Moment zu verzögern. Wo war ihr Clansbruder? In gebotener Geschwindigkeit erfüllte er alsdann jedoch den Wunsch der Ahnin. Die Verspätung würde die Ancilla mit ihrem Clansbruder ausmachen müssen. Auf dem Hoftag hatte der Brujah seinen Lehensherren und dessen Vasall angekündigt nun also die Neugeborenen der Domäne. Eine Lektion in Demut? er schob den Gedanken beiseite, straffte sich etwas und legte dabei das Handgelenk der rechten Hand hinter dem Rücken in die linke Hand. Ein Sterblicher hätte sich vermutlich noch geräuspert oder zumindest Luft geholt. Doch Gabriel benötigte dies nicht. Mit deutlich vernehmbarer Stimme:

„Ihre höchst verehrte Majestät Aurore, Prinz von Genua, Ahn vom Blute Ventrues, Kind des Geoffrey le Croise, Ahn vom Blute Ventrues, Kind des Alexandre de Paris, Ahnherr vom Blute Ventrues, Kind des Ventrue, erster seines Blutes, Kind des Enoch, des Weisen, Kind des Kain, des Vaters.“ in seiner Rolle als Herold machte er eine deutliche Pause um auch wirklich dem letzten im Raum deutlich zu machen, dass die Ahnin hier das älteste Raubtier im Raum war bevor er fortfuhr. „Verehrte Drita, Ancilla vom Blut der Schatten.“ stellte er nun das nächste Raubtier vor und machte auch hier eine Pause, denn auch zwischen Drita und der nächstgenannten Person bestand ein Unterschied, den der Brujah mit seiner Pause verdeutlichte. „Als Herold der Domäne Genua und Vasall ihrer höchst verehrten Majestät, stelle ich, Gabriel Ducas, Neugeborener vom Clan der Gelehrten, Kind von Canissa von Catania, Ancilla der Gelehrten, Kind von Xanthus dem Wissenden, Ahn der Gelehrten, aus der Linie von Syphax von Karthago vor…“ erneut eine Pause.

„…Atessa Federizzi, Neugeborene aus dem Clan Toreador, Kind des Romian d'Lucacello, Kind der Caramia da Napoli, letzter Schwurmeister Roms, Ahn aus dem Clan der Toreador. Freigesprochen durch Brutus Aquillius, Ahn vom Blut Saulots und Präfekt von Salerno.“ bei der folgenden Pause sah er erneut kurz zu Drita, Das ist Vincentes verschulden. dachte er bei sich und verlängerte die Pause noch etwas, ehe er schließlich einsehen musste, dass der Neugeborene der Lasombra wohl wirklich später oder vielleicht überhaupt nicht kommen würde. „Allegra Aldighieri, Neugeborene vom Blute Kappadozius, Kind des Ivain, Neugeborener vom Blut des Kappadozius, Kind des Tamerans du Brocéliande, Ahn vom Blut des Kappadozius und Hüter der Gebeine des Riesen Unsveill, freigesprochen durch Ginevra Busca, Ahnin vom Blut der Schatten, Prinz Rhegiums.“ die Augen huschten entschuldigend zu Dirta und Aurore. Die Verspätung war ihm scheinbar sichtlich unangenehm.*

*
Spoiler!
Etikette für die korrekte Reihenfolge und Vorstellung: 8, 8, 6, 5, 3
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I Tarocchi
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Re: [1090] Die Iden des October [Allegra, Atessa, Vincente, Gabriel, Drita, (SL)]

Beitrag von I Tarocchi »

Unangenehm. Das war ein passendes Wort für die Stille, die danach Einzug hielt. Aurore stand still ohne jede Regung. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Hieß sie Gabriels Vorstellung gut? Hatte er einen Fehler begangen? Sekunden zogen sich in die Länge, schwollen an wie Leichen in der Wärme. In der gärenden Fäulnis konnten alle Arten von Zweifeln brüten. Wie lange würde Aurore die Neugeborenen hier knien lassen? Dachte sie überhaupt an sie? Hatten sie sie bereits jetzt schon zu sehr verärgert? Doch Aurore wirkte nicht wütend. Sie hatte dieses sanfte, ferne Lächeln einer Statue. Der Moment wollte nicht enden.

Und dann erklangen Schritte. Die Tür hinter Allegra und Atessa wurde aufgestoßen und die massige Gestalt des Allesfressers trat in das Licht der Weißen Halle. Er trug eine kleine Schachtel vor sich her, die er präsentierte noch als er sich auf die Knie warf.
Eine winzige Regung kam in Aurores Gestalt, als sie ihren Blick auf Vincente legte. Ihr Lächeln war vollständig unverändert, eine perfekte Maske schöner Sanftheit. Zart hob sie die Hand an und bedeutete Gabriel, in seiner Vorstellung doch fortzufahren.
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Drita
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Re: [1090] Die Iden des October [Allegra, Atessa, Vincente, Gabriel, Drita, (SL)]

Beitrag von Drita »

Der Gesichtsausdruck der selbsternannten Hüterin des Wortes blieb neutral den angekommenen Neugeborenen gegenüber. Nichts ließ darauf schließen warum sie hier war. Vielleicht als Zeugin für das was kommen würde. Vielleicht als Anklägerin? Aber wer hatte sich schon etwas schuldig werden lassen von den Herzitierten?

Drita verzog einen Moment lang das Gesicht, als sie Gabriels Blick bemerkte. Ganz leicht hob sie die Schultern - sie wusste nicht, wo ihr Bruder blieb und es war auch nicht an ihr, für ihn gerade zu stehen. Aurore hatte gesprochen. Das Schicksal des Jüngeren lag nicht mehr in ihren Händen. Doch dann fand sie ihre Ruhe wieder, als die Türe abermals aufging. Ein Nicken in Gabriels Richtung folgte, welches jedoch in der Geste der Regentin unterging.
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Gabriel Ducas
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Re: [1090] Die Iden des October [Allegra, Atessa, Vincente, Gabriel, Drita, (SL)]

Beitrag von Gabriel Ducas »

„Vincente Carlos, Neugeborener vom Blut der Schatten, Kind von Kasib Sami, Ancilla der Schatten. Freigesprochen durch Mohammad al Sheik, Ancilla der Schatten und pisanischer Konsul auf Sardinien.“ fügte er pflichtbewusst an als er dem Wink der Hand gewahr wurde. Er schien sich etwas zu entspannen als Vincente schließlich doch eintraf. Nicht auszudenken welchen Eklat es ausgelöst hätte, wäre der Neugeborene ohne ein Wort fern geblieben. Kurz fiel der Blick des Brujah auf den selbsternannten Diplomaten, doch er enthielt sich jeglicher Regung. So glitten seine Augen einmal über die Anwesenden, um schließlich in demütigem Schweigen zu verharren.
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Vincente Carlos
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Re: [1090] Die Iden des October [Allegra, Atessa, Vincente, Gabriel, Drita, (SL)]

Beitrag von Vincente Carlos »

Vincente freute sich an der Freude des anderen. Dann nickte er kurz und folgte dem Ghul durch die Gänge zur Weißen Halle. Er erinnerte sich noch daran wie vor einigen Jahren der Wettstreit der Künste dort ausgetragen worden war. Daher glitt sein Blick automatisch zum Ende der Halle wo damals der Thron gestanden hatte, prüfend, ob dieser nun besetzt war.

Er hatte versucht sich für die Schönheit Aurores zu wappnen, doch fühlte er sich nun, da sie nicht wie erwartet am Ende der Halle auf ihrem Thron saß, sondern unter ihnen weilte, so nahe, von ihr wie mit einem Hieb getroffen. Kurz gerieten seine Bewegungen ins Stocken, als er sich von dem schönen Anblick losriss und sich wieder seiner besann. Er sank pflichtbewusst auf beide Knie und senkte respektvoll den Kopf. Dass Aurore nicht allein war, bekam er nur am Rande mit. Zu sehr war er noch damit beschäftigt was es in ihm auslöste der Prinzessin so nahe zu sein. Schönheit auf Entfernung war schon gefährlich genug, aber ihr so nahe zu sein? Das konnte einen Mann ins Verderben führen!
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I Tarocchi
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Re: [1090] Die Iden des October [Allegra, Atessa, Vincente, Gabriel, Drita, (SL)]

Beitrag von I Tarocchi »

Vincente konnte bei seinem Rundblick in die hell erleuchtete Halle mit Leichtigkeit erkennen: Der Löwenthron von Genua stand in dieser Nacht nicht in der Halle. Stattdessen konnte man heute Nacht ein wenig besser erkennen, was die Halle sonst, in gewöhnlichen Nächten, für dieses Haus war: Sie wurde dominiert von einer großen, hölzernen Tafel, welche sicherlich groß genug war, um alle Menschen daran Platz haben zu lassen, die ein Anwesen wie das der Villa Illuminata zu bewirtschaften. Das, was die Kainiten als die “Weiße Halle” kannten, konnte heute Nacht noch ein wenig von der gewöhnlichen Wärme gewöhnlicher Tage nachklingen lassen. Die Tafel sah aus als wäre sie sonst in lebhaftem Gebrauch, auch wenn sie offenkundig für diese Nacht gründlich gereinigt, poliert und wohl auch mit Lavendelöl behandelt worden war. Es roch ein wenig danach, ebenso wie es nach Bienenwachs duftete. Diese süßen Düfte mischten sich mit dem der kühlen Nachtluft und dem erdigen und etwas säuerlichen Geruch von Papier, Pergament und Schreibzeug.

Aurores Blick glitt nun über die drei Neugeborenen bei der Tür und dann auch über ihren eigenen Diener. Wie lange ging er nun wohl schon an ihrer Seite durch die Nacht? Er schien ihren Blick wohl zu spüren, denn er hob das kleine Kästchen an, das Vincente ihm gereicht hatte. Auf einen Wink hin erhob er sich und legte es auf dem Tisch nieder, wo er es öffnete, so dass sie es und seinen Inhalt betrachten konnte. Dann nahm er es in beide Hände und trug es zur Seite weg.

War der Blick Aurores ein wenig milder geworden durch dieses kleine Zwischenspiel?
“Gut”, sagte sie und nickte Gabriel einmal zu. Vielleicht war dies das höchste Lob, das er jemals direkt von ihr gehört hatte. Ein solches Urteil aus ihrem Munde für etwas wie eine Vorstellung könnte eigentlich banal oder gar unnötig wirken. Doch gerade aus ihrem Munde und gerade für etwas wie dies und gerade an jemanden wie ihn gerichtet, bekam es auf einmal ganz neue Tiefe.

“Als ich den Löwenthron bestieg…”, sagte sie dann und richtete sich an die drei Neugeborenen. “...war Genua kaum mehr als Ruinen, Armut und Verzweiflung. Es hatte Überfälle der Araber gegeben und danach kamen noch weitere Plünderer, Piraten, Aasgeier auf der Jagd nach leichter Beute.”
Ihre Worte malten das desolate Bild von einer Stadt vor dem Untergang. Man konnte es in der Stimme der scheinbar doch so jungen Frau hören: Die Erinnerung an das Leid, an die Zerstörung, an die Hoffnungslosigkeit.
“Die Kirche war geschlagen worden, zerschlagen unter den Klingen der Araber. Der Adel war blutig gefallen oder geflohen, hinaus aufs Land, hinauf in die Berge. Einige sind noch heute dort und nicht zurückgekehrt. Hunger und Krankheit waren Begleiter der meisten Menschen. Angst, Tyrannei, Hass und Gier die Begleiter der wenigen Kainiten, die sich hier gehalten hatten.”

“Ich kam hierher”, sagte sie dann und hob ihr Kinn. Beinahe wirkte es wie der trotz eines noch jugendlichen Mädchens, das wagte, einen unmöglichen Traum vom Leben zu haben und sogar danach zu greifen. Wider alle Vernunft, mit nichts als Hoffnung. “Ich habe Genua zu meiner Heimat gemacht, um etwas aufzubauen, was alle anderen für unmöglich hielten. Ich wollte eine Stadt zur Blüte bringen. Nicht mit fernen Träumereien und vergangenen Mythen…”, sagte Aurore und hier warf sie einen Blick zu Gabriel Ducas. “...sondern durch die mutigen Schritte und Taten aller in ihr. Aller." Die Wiederholung dieses letzten Wortes klang laut und klar durch die Halle. Der Gedanke schien schier unmöglich, die Grenzen zwischen Tag und Nacht zu hart, zu oft und blutig nachgezogen. Die Gräben zwischen Fraktionen, Geblütern, Meinungen, Ideen zu abgrundtief. Und doch klang dieses unmögliche Wort durch die Halle.
"Voran, gemeinsam, vereint. Ich wollte keine rückwärtsgewandten, erstickenden Strukturen. Ich wollte und ich will diese Heimat zu Glanz und Reichtum bringen. Ich will, dass Hunger und Angst nicht länger meine Herde heimsuchen. Ich will, dass die Kainiten, die sich hier ansiedeln, meinen Traum tragen und erkennen, dass sie selbst daran nur gewinnen können. Denn wo der Boden und das Land die Menschen gut tragen und wo die Menschen reich und vielfältig sind, wo ihre Gedanken neue Blüten treiben und ihrer Hände, Köpfe und Herzen Arbeit neue Wunder in neuen Zeiten schafft, da sind auch wir in der Nacht reich und können sie lenken, behüten, beschützen, zu ungeahnten Größen bringen - und damit uns selbst.”

In ihrer Stimme klang etwas mit, dass einen glauben ließ, dies wäre wirklich möglich. Es lag Herz darin, Hoffnung, ungeahnte Möglichkeiten. Man konnte ihn beinahe greifen, diesen Traum von Genua. Sie alle kannten die Straßen und Gassen der Stadt, prachtvoll und schmutzig, stinkend oder vom Seewind reingewaschen, wild, wirr, chaotisch, lebendig, gefährlich, gesalzen und gewürzt von diesen Prisen an Abenteuer, die die Geschichten vom Hafen brachten, gepaart mit der kühleren Festigkeit der Kirchen, Kloster, gelehrten Größe des Bischofs, der Macht von Mauern, Kastell und Schiffen.

“Darum öffne ich meine Türen für Fremde”, sagte sie. “Weil sich aus der Vielfalt auch vielfältige Kraft schöpfen lässt. Weil keine Gabe eine Verschwendung ist. Weil ein Lied aus hundert Tönen und ein Volk aus tausenden Einzelnen besteht. Ich habe sie geöffnet, für venezianische Schatten, denn ich weiß auch, dass es Licht geben muss, wo Schatten sind.” Ein Blick zu Drita, blau, wunderschön, mit einer Anspielung? Oder mehreren? War überhaupt Drita gemeint oder andere Schatten aus dem reichen Venedig? Aurore strich sich eine Strähne ihrer braunen, weichen Locken aus dem Gesicht. Beinahe kokett, doch mit was kokettierte jemand wie sie wohl in dieser Halle?
“Ich habe sie geöffnet für solche, die aus ihrer eigenen Heimat fortgeschickt wurden - oder verstoßen. Ich habe sie geöffnet für die, die fliehen, die sonst keinen Ort finden, die manchmal mit nichts als Hoffnung hierher kommen.” Ihr Blick streifte Atessa und Allegra. “Ich habe sie geöffnet für solche, die bislang nichts kannten als Mord und Raub, für Piraten, die nicht einmal ihrem eigenen Blut mehr wert sind als ein Witz, eine Wette, einen gestreichelten Stolz.”
Sanft klangen die Worte nun und auch ein wenig traurig. “Ich habe meine Türen geöffnet und heiße sogar jene als Gäste willkommen, die sonst keine Heimat haben. Und ich verlange nicht von ihnen, dass sie meinen Speichel lecken und mir die Füße küssen.” Etwas hatte sich im Tonfall des viel zu schönen Mädchens geändert. Eine Spur jener gefährlichen, jugendlichen Boshaftigkeit lag darin, wie vielleicht nur Mädchen in diesem Alter sie straflos haben, pflegen und zu betörenden, teuflischen Blüten treiben können. “Obwohl ich es gewiss könnte”, fügte sie in genau diesem Ton hinzu, selbstbewusst und spielerisch leicht. Sie hob kurz die Hand und spreizte die Finger als wollte sie bedeuten wie leicht sie andere um diese zarten Finger wickeln konnte. Es war so schrecklich, furchbar leicht, in dieser Illusion der jungen Schönen gefangen zu bleiben.

“Das einzige, was ich von ihnen verlange, ist, dass sie ein Teil meiner Heimat werden und sie für sich und alle anderen besser machen als sie es war, bevor sie als Fremde und Gäste hierher gekommen sind.”

“Gabriel, nenne mir die Aufgaben, die meine drei Gäste hier erfüllen sollten. Sie alle sind freigesprochene Kainiten, mit der Macht ihrer Geblüter ausgestattet und von ihren Erzeugern erwählt vor allen anderen. Ich will noch einmal ausgesprochen hören, welche Aufgaben es waren, die eine Blüte der Rosen, eine der Jüngsten der Totenwächter und einen der Seefahrer der Schatten tun sollten.”
An dieser Stelle nun setzte Aurore sich ziemlich genau an der Mitte der Tafel auf einen der schön gedrechselten, verzierten Feldherrenstühle, die auf ihrer Seite der Tafel standen. Die Tafel spannte sich links und rechts von ihr weiter, lang genug für den großen Raum. Auf der anderen Seite, Aurore gegenüber, knieten die drei Neugeborenen.
Es gab noch weitere Sitze um die Tafel her, die meisten in Form von Holzbänken mit Schnitzereien, doch auch weitere Stühle aus hellem Holz, einige mit Kissen, andere ohne.
Mit einer Geste lud sie Drita zu sich an diesen Tisch ein, mit einer weiteren Gabriel. Dann erst sah sie wieder auf die andere Seite des Tisches herüber, wo Atessa, Allegra und Vincente knieten.

“Und dann will ich von jedem von euch, meinen Gästen aus der Fremde, hören, was Ihr getan habt, während ich meine Hand schützend über euch erhob. Während ich euch Obdach gab und euch vom Blut meiner eigenen Herde trinken ließ. Während ich Euch alle Freiheiten gewährte obwohl nicht ein einziger von euch sich mir je bewiesen hat.”
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Gabriel Ducas
Brujah
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Re: [1090] Die Iden des October [Allegra, Atessa, Vincente, Gabriel, Drita, (SL)]

Beitrag von Gabriel Ducas »

Vortreten musste er nicht mehr und auch wenn er bereits seit geraumer Zeit tot war, so war die Ansprache doch etwas, dass ihn einen Moment irritiert in Richtung der Ahnin blicken ließ, ehe er wieder zum ernst der Situation zurückkehrte. Bei einem Lebenden hätte vermutlich das Herz bis zum Hals geschlagen oder man hätte Schweißausbrüche bekommen. Du machst hier deine Arbeit. beruhigte er sich und schon erklang wieder die, mitnichten jugendliche Stimme, des Herolds der in bester Bürokratenmanier weitere Sachinformationen gab.

„Atessa Federizzi, Neugeborene der Rosen, eingereist in die Domäne Genua im Jahre des Herren 1076 erhielt von Herold Macario, Neugeborener vom Blute der Schatten, Auge von Clavicula, Kind von Stefanos, dem Büßer, aus der Linie des Erminulf zu Benevent die Aufgabe die Stadtplanung zu beeinflussen und so den Bau der Kathedrale zu begünstigen.“ er hätte hierzu wohl noch einiges sagen können, allerdings war dies nicht gefordert. Daher fiel sein Blick nun auf den nächsten im Raum. Nicht auf Allegra, die er vorher noch als zweite genannt hatte, sondern auf den Schatten. „Vincente Carlos, Neugeborener vom Clan der Schatten. Kam anno 1070 in die Domäne Genua und erhielt vom damaligen Herold aus dem Blut der Drachen, die Aufgabe die Sarden zu bekehren.“ auch hier hätte er wohl noch einiges zu sagen gehabt, doch seine Augen wanderten einen Moment zu der Ancilla der Lasombra, ehe er unbeirrt zur dritten Person kam.

„Allegra Aldighieri, Neugeborene vom Blut des Kappadozius, wurde 1077 in der Domäne vom wohlwerten Macario empfangen. Sie erhielt die Aufgabe eine Reliquie für den Bau der Kathedrale zu beschaffen.“ so sachlich wie Gabriel es vortrug waren ihm alle Aufgaben offenbar entweder gleich wichtig oder eben gleich unwichtig.
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Allegra Aldighieri
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Re: [1090] Die Iden des October [Allegra, Atessa, Vincente, Gabriel, Drita, (SL)]

Beitrag von Allegra Aldighieri »

Allegra war erleichtert, als sie mit ihrer periphären Sicht wahrnahm wie Vincente doch noch den Raum betrat. Falls das hier eine Bestrafungsaktion werden sollte, gäbe es nun ein offensichtlicheres Ziel für Aurores Zorn als die junge Kappadozianerin.

Die Rede der Weißen Prinzessin saugte sie geradezu auf, und sie konnte nicht ein leises Lächeln verbergen. Der Niedergang unter den muselmanischen Plünderern und die anschließende noch glorreichere Wiederauferstehung würde ihr einen exzellenten Anknüpfpunkt bieten für ihre eigenen Fortschritte. Ja, wenn Aurores eigene Thanatographie wirklich so sehr mit diesem Ereignis verbunden war, wie sie vorgab, würde sie sie geradezu begeistern können.

An der Reihenfolge, in der der Herold die Aufgaben aufzählt, nahm sie keinen Anstoß. Atessa und Vincente waren beides Vasallen, sie immer noch nur einfacher Gast, da war es nicht verwunderlich, wenn sie im Protokoll zuerst genannt wurden.
Und sie verstand genug vom Protokoll, um zuerst die beiden Vasallen sprechen zu lassen, ehe sie ihren Bericht vortrug. So verharrte sie zunächst weiter in ihrer Stellung.
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