[Fluff] Lämmlein, Hase und Igel [Agnellina]

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Agnellina
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Registriert: Mi 2. Aug 2023, 22:00

[Fluff] Lämmlein, Hase und Igel [Agnellina]

Beitrag von Agnellina »

So viele Möglichkeiten. Doch keine Fährte. Keine Spur.
Wohin? Rechts? Links? Wald? Stadt? Berge?
Das Land ist weit. Hohe Berge, steile Wege, scharfe Klippen, tiefes Wasser. So viel Raum. Genua ist weit und eng zugleich. Das Gefühl von verloren und eingesperrt sein liegen so eng beieinander. Diesseits der Mauer, jenseits der Mauer. Zwei Welten, ein unendliches Feld voller Heu. Wo nur die Nadel darin suchen?

Ruhige Finger malten Striche in die Erde, während die Gedanken den Strichen Bedeutungen gaben und Möglichkeiten erwogen. Der Fuchs könnte sich am einfachsten unter den roten Hühnern verbergen. Würde er dies tun? Er war kein Einzelgänger. Im Gegenteil, dieser Fuchs brauchte sein Rudel. Dieser Fuchs war eine Fähe. Ein Leittier, ein Muttertier, ein Führungstier. Das trennte sich nicht leichtfertig von seinem Rudel, sondern führte es beständig.
Natürlich könnte die Fähe es versucht haben, in den Hühnerstall einzudringen, um das goldene Ei zu stehlen.
Hatte sie dies versucht? Waghalsig genug dazu mochte sie sein. Doch die Hunde hätten geschnappt und nicht gebellt. Nein, den Hühnerstall konnte sie erst einmal außer acht lassen. Die Fähe mochte ihn umschleichen, doch sie war eher auf der Pirsch und suchte den rechten Zugang.

Die Schwierigkeit bestand darin, dass die Fähe ausgebildet war. Kein Welpe, sondern längst gereift an Erfahrung und dazu abgerichtet sich im Wald und in den Bergwäldern zu bewegen und zu verbergen.
„Sie findet dich, nicht du sie. Sonst hätte ich sie schlecht ausgebildet.“
Keine leichte Beute. Keine einfache Jagd. Eine Pirsch nach Spuren, die es nicht geben sollte. Die Jägerin ohne Spur setzte die Jagd im Gedanken fort.

Spuren. Die Fähe war sterblich. Das hieß, sie benötigte all das, was das Leben erhielt. Wasser. Nahrung. Wärme. Ein geschützter Ruheplatz.
Sie war nicht im Bau. Doch die Fähe war klug genug und hatte sich vermutlich verschiedene Ruheplätze geschaffen. Nichts großes, aber verstreut.
Striche, weitere Striche im Boden.
Was brauchte sie? Trocken. Nicht zu weit vom Wasser entfernt. Ein Bach, ein Fluss, ein Weiher in der Nähe. Wasser war wichtig.
Ein Dach. Ein Schirm vor dem Wetter. Keine Wiesen, keine Lichtung. Grundlegend brauchte sie nur einige Äste um einen guten Baum, eine kleine Höhle, ein Erdloch, um sich vor Sonne und Wind, vor Regen und Wetter zu schützen. Doch das war nichts auf Dauer. Nicht, wenn sie nicht allein war. Die Erde fiel heraus. Die Erde ging, wenn man allein war. Nein, die Fähe war nicht in der Erde.
Ein Baum, jede Nacht erneut diese Mühe? Sie wäre in Bewegung, doch war sie tatsächlich so in Bewegung? Nein, sie hatte irgendwo ihr Revier. Stetige Bewegung kostete zu viel Kraft. Nicht die steilen Berghänge. Zu unwegsam. Nicht zu unwegsam für sie generell, doch die Kraft und Zeit brauchte sie anders. Die Hänge nicht im Moment. Keinesfalls in den Klippen. Zu einsehbar bei Tage. Zu schlecht zu erreichen. Zu nass. Weg vom Meer.
Schon der Wald. Pflanzen und Wild zur Nahrung. Holz für Wärme.

Ein Blick hinauf zur Krone des nächsten Baumes. Wenn es nicht so finster wäre, würde sie von den majestätischen Wipfel aus weit sehen können. Doch die Fähe wusste gewiss, wie man Jägerfeuer hielt, sodass kein Rauch zu sehen wäre. Kein Feuerschein in der Nacht. Keine Chance von oben.

Über zwanzig. Zwanzig mussten Spuren hinterlassen. Sie würde das Rudel sicher geteilt haben. Doch auch kleine Trupps mussten Spuren hinterlassen. Wasser. Wärme. Nahrung. Sie nahmen die Reste der Beute, verarbeiteten sie. Aber das Leben war nicht spurlos. Irgendwo musste es Spuren geben.
Einfach herumstreifen. Geduldig sein? Auf Gott und seine Fügungen vertrauen? „Lämmlein lausche. Du wirst mir gehorchen, denn ich bin dein Schöpfer. Du trittst nicht vor Gott, sondern vor mich. Und du wirst mir gefallen, mein kleiner Welpe, denn du wirst kein dummes, kleines Schaf sein, mein Lämmlein, nicht wahr?“
Ärger brandete in der Jägerin auf. “Dein verdammtes Lämmlein findet den Fuchs aber nicht!“
Zu groß. Zu weit. Zu fremd. Zu dumm. Dumm wie der Hase.
Der dumme Hase, der herumhetzte und auf seine Ausdauer setzte, bis er zusammen brach. Hasen wird der Kopf abgerissen. Sie schloss die Augen. “Dein Lamm ist geduldig. Dein Lamm findet den Fuchs. Es ist kein dummes Schaf, es ist kein dummer Hase. Es denkt nach, bevor es rennt.“

Ausgebildet. Beweglich und verborgen.
Aber sterblich. Wasser, Wärme, Ruhe.
So viele Herzen um einen herum. Aufteilen. Kleine Kohorten, kein riesiges Rudel. Koordinieren und bewegen.
Es musste Wege geben. Orte.
Fern der Menschen und doch so nah. Sie brauchte die Menschen. Oder nicht? Wozu eigentlich? Nein, sie brauchte die Menschen nicht. Das wäre sogar abträglich. Diese waren Beute für andere Jäger. Die Fähe verbarg sich nicht unter der Herde. Zu gefährlich.
Aber… was war gesagt worden? Hin und wieder kommt jemand. Tauschen. Auffüllen. Doch, sie brauchten das gesamte Rudel. Das… gesamte… Rudel…
Der Blick ging zurück. In die Dunkelheit. Und doch durch die Dunkelheit.
Das gesamte Rudel.
Schade um die Arbeit.
Laufen lassen.

„Sie findet dich, nicht du sie. Sonst hätte ich sie schlecht ausgebildet.“

Sie war schon am richtigen Ort gewesen.
Sie wusste es nur nicht.
Der Hase war so dumm.
Nicht laufen. Nachdenken.

Ich bin schon hier, sagte der Igel. Milchzahn, ich bin kein Hase. Der Igel muss ich sein in dieser Jagd. Und nun erkläre ich der Fähe, wie sie mich findet.“
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